M
- eine Stadt sucht einen Mörder
AKA:
Fritz Lang's M, M - Mörder unter uns, The Murderers Are Among
Us
Deutschland, 1931, s/w, 105 min |
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Regie:
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Fritz
Lang |
Drehbuch: |
Fritz
Lang und Thea von Harbou |
Produzent: |
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Musik: |
Motiv
aus "Peer Gynt" von Edvard Grieg |
Kamera: |
Fritz
Arno Wagner |
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Peter
Lorre |
Hans
Beckert |
Ellen
Widmann |
Frau
Beckmann |
Inge
Landgut |
Elsie
Beckmann |
Otto
Wernicke |
Inspector
Karl Lohmann |
Theodor
Loos |
Inspector
Groeber |
Gustaf
Gründgens |
Schränker
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Im Berlin der
Weimarer Zeit geht die Angst um. Ein brutaler Kindermörder
treibt sein Unwesen, bereits sieben kleine Mädchen fanden den
Tod, und die Polizeiermittler, allen voran der aufrechte Kommissar
Lohmann, die zudem noch von dem Mörder genarrt werden, werden
seiner einfach nicht habhaft. Als ein weiteres ermordetes Kind entdeckt
wird, nimmt die Stimmung der Bevölkerung hysterische Züge
an, die Lage wird zusehends explosiver. Stammtischfreunde bezichtigen
sich gegenseitig, für die Morde verantwortlich zu sein, steigen
sie doch angeblich kleinen Schulmädchen nach, ein Mann wird
beinahe auf offener Straße gelyncht, nachdem er von einem
kleinen Mädchen nach der Uhrzeit gefragt seine Taschenuhr hervor
holt, in der ein Passant eine Waffe erkannt haben will.
Der Innenminister
ist außer sich und übt äußersten Druck auf
den Polizeipräsidenten aus, der aber versichert, alles in seiner
Macht stehende zu tun. Schon jetzt fänden seine Beamten kaum
noch Schlaf und seien rund um die Uhr im Einsatz. Erbarmungslos
führen die Kriminalisten Razzia um Razzia im Unterweltmilieu
durch, der Ergreifung des Mörders aber kommen sie keinen Schritt
näher. Stattdessen fühlen sich die "ehrlichen"
Unterweltler massiv an ihrer "Arbeit" gehindert, der sie
kaum noch nachgehen könnten. Schließlich versuchen sie
ja nur ihre Familien durchzubringen, wie einer der Spitzbuben bittersüß
erklärt, aber mit einem Kindermörder habe man gewiss nichts
zu schaffen. Da die Polizei den Mann scheinbar nicht zu fassen bekommt,
beschließt das Syndikat selber aktiv zu werden. Der legendäre
Unterweltboss "Der Schränker" erklärt die Jagd
nach dem Unheimlichen für eröffnet, eine riesige Untergrundarmee
setzt sich in Bewegung. Vom Bettler bis zum Gangsterboss wird nun
auch den kleinsten Hinweisen auf den Täter gefolgt.
Doch auch Lohmann
folgt inzwischen einer neuen Taktik, indem er Personen überprüfen
lässt, die in letzter Zeit aus Irrenanstalten entlassen worden
sind. Lohmann ist sich sicher, seinen Mann in diesem Kreis zu finden.
Bald stößt er auf Hans Beckert, den er verhaften lassen
will, aber nicht antrifft. Als ein blinder Luftballonverkäufer
einen Mann Edvard Griegs "Halle des Bergkönigs" pfeifen
hört, erinnert er sich daran, dass am Tag des letzten Verbrechens
scheinbar der gleiche Mann, der ebenfalls dieses Motiv pfiff, bei
ihm einen Ballon für ein kleines Mädchen erwarb, was er
nun wieder tut. Es muss der Mörder sein! Ein Bettler folgt
dem Mann - Hans Beckert - der sich gerade an ein neues Opfer heranmacht,
und markiert von Beckert unbemerkt dessen Mantel mit einem großen
M.
Der sieht sich
bald eingekreist von den Unterweltlern. Er lässt das Kind laufen
und versteckt sich voller Panik in einem Speicher, wo er versehentlich
von einem Wachmann eingeschlossen wird. Seine Häscher überwältigen
die Wachleute und stellen Beckert, den sie in eine leer stehende
Fabrik verschleppen. Dort wird ihm von der "ehrlichen"
Verbrecherwelt der Prozess gemacht, wobei der "Schränker"
als Richter auftritt. Beckert bricht zusammen und gesteht die Morde,
die er aber eigentlich gar nicht begehen wollte. Er habe nicht anders
gekonnt, der Zwang, der Trieb war zu stark! "Immer muss ich
durch Straßen gehen und immer spür ich, es ist einer
hinter mir her. Das bin ich selber! Manchmal ist mir, als ob ich
selbst hinter mir herliefe! Aber ich kann nicht! Kann mir nicht
entkommen!"
Bevor der Verbrechermob
den völlig verängstigten Beckert lynchen kann, stürmt
Lohmann mit großem Polizeiaufgebot die Fabrik und nimmt Beckert
fest. Das Morden hat ein Ende!
Gewiss ist das
Tonfilmdebüt des großen Regisseurs Fritz Lang von 1931
ein Vampirfilm im eigentlichen Sinne nicht, dennoch gehört
er unbedingt in die Vampireworld! Lang, der mit seiner Ehefrau Thea
von Harbou auch ein kongeniales Autorenduo bildete, ließ sich
beim Verfassen des Drehbuches wie Jahrzehnte später auch die
Filmemacher Uli Lommel (Die Zärtlichkeit
der Wölfe) und Romuald Kamakar (Der
Totmacher) von den realen (Un)Taten der Serienmörder
Fritz Haarmann und Peter Kürten, dem so genannten "Vampir
von Düsseldorf", inspirieren, aber auch vom Wüten
des legendären Dirnenmörders Jack
The Ripper im London des ausgehenden 19. Jahrhunderts (der übrigens
auch Bram
Stoker beim Verfassen seines Dracula
inspiriert haben soll.)
"Selbstverständlich
bedingt die künstlerische Reproduktion eines solchen Mordfalles
nicht nur die Gedrängtheit der Ereignisse, sondern auch das
Herausschälen von typischen Dingen und die Typisierung des
Mörders", so Lang 1931 in der "Filmwoche", "Darum
soll der Film stellenweise wie ein wandernder Scheinwerfer wirken,
der das am deutlichsten zeigt, worauf er (
) seinen Lichtkegel
gerichtet hält: die Grotesken des von der Mordpsychose befallenen
Publikums auf der einen Seite und die grauenhafte Einfalt, mit der
ein unbekannter Mörder (
) jedem Kind auf der Straße,
das sich außerhalb des Schutzes [der] Familie (
) befindet,
zum Verhängnis werden kann." Und wahrlich, das ist Lang
gelungen wie kaum einem anderen Regisseur nach ihm. Der Zuschauer
spürt förmlich, wie das Entsetzen über die Stadt
kriecht und auch von ihm Besitz ergreift. Der noch junge Peter Lorre,
der sich mit seiner unglaublich intensiven Darstellung des Triebmörders
Beckert zu Recht einen ewigen Platz in der Filmgeschichte erspielte,
läuft durch die Stadt, ein unauffälliger junger Mann mit
gutmütigen, ehrlichen Gesichtszügen. Niemand würde
ihn für einen Killer halten. Hören wir ihn aber Grieg
pfeifen, so wissen wir, jetzt bricht wieder die Mordlust in ihm
durch. Der Zuschauer möchte die Kinder warnen, sie dem Mörder
entreißen, weil er ja weiß, was für ein Schicksal
auf sie wartet
Das entsetzliche Verbrechen zeigt uns Lang
nicht, wir sehen nur einen Ball aus dem Gebüsch rollen und
einen fliegenden Luftballon, der sich in den Telegrafenleitungen
verfängt. Das aber sind Szenen, die man nie wieder vergisst.
Auch inszeniert Lang den Mörder nicht als Monster, als Unmenschen
und Bestie, sondern als Getriebenen, der nicht anders kann als zu
morden, und der auch unter seinen Taten leidet. Beckert ist ein
überaus ängstlicher Typ, getrieben von schizophrenen Schüben,
die vermeintliche Allmachtsphantasien in ihm auslösen. Vor
den verängstigten Kindern ist er für einen kurzen Moment
der große böse Mann, dann hat ihn der Alltag wieder.
Die andere Seite,
auf die sich der von Lang angesprochene Lichtkegel richtet, zeigt
eine zutiefst ambivalente Gesellschaft, der von einem grauenhaften
Entsetzen gepackt jedes Mittel recht ist, den quälenden Stachel
aus dem Fleisch zu reißen. Wie sehr die empfundenen Gräuel
sich in brutaler Gewalt entladen können, schildert der Film
gleich mehrfach und stellt dabei die Schuldfrage kommentarlos in
den Raum. Auch betonte Lang ausdrücklich den manipulativen
Charakter der Massenmedien (in diesem Falle ist es noch die Presse,
die Aussage als solche ist aber auf alle Medien anwendbar und hat
bis dato nichts von der Aktualität verloren), die die Stimmungslage
der Bevölkerung nachhaltig und in ihrem Sinne beeinflussen.
Ein Beispiel, welches aus dem realen (und damals überaus aktuellem)
Fall Kürten übernommen wurde, ist das Bekennerschreiben
des Mörders, welches die Gazetten abdruckten und reißerisch
ausschlachteten. Kürten wurde übrigens 1930 verhaftet,
sein Prozess, der mit dem Todesurteil endete, erregte enormes Medieninteresse,
dem seinerzeit eine aufgewühlte und lange Diskussion über
die Todesstrafe in Deutschland nachging, welche auch durch den Film
"M" zusätzliche Nahrung erhielt.
Handwerklich
ist "M" absolut herausragend. Fritz Arno Wagners Kameraarbeit
erinnert tatsächlich an einen Lichtkegel, der die Szenerie
mal sparsam, mal gleißend erleuchtet. Seine Bilder sind von
beklemmender und suggestiver Intensität, die durch die krassen
Lichtkontraste noch verstärkt werden. Doch auch wenn "M"
noch so aufwühlen mag, blieb Lang in seinem Regiestil ganz
der Sachlichkeit verpflichtet. Fast wie bei einem Dokumentarfilm
beobachten wir die Darsteller bei völlig alltäglichen
Tätigkeiten - und können doch auf diesem Wege den Horror,
die Sorge, die Angst, die sie empfinden, noch viel besser nachvollziehen,
weil sie uns ja selber immer wieder aus unserem Alltag reißen
und unverhofft über uns hereinbrechen. Um diese Stimmung zu
erreichen, benötigt Lang übrigens nicht einmal eine musikalische
Untermalung. Die einzige Musik, die wir tatsächlich im gesamten
Film zu hören bekommen, ist das vom Mörder gepfiffene
"Halle des Bergkönigs" (welches angeblich von Lang
höchstpersönlich eingepfiffen worden sein soll). "M"
entstand fast ausschließlich - ganz im expressionistischen
Sinne - im Studio, zu dem eigens eine riesige Zeppelinhalle umgebaut
worden ist.
Für die
Figur des Polizisten Lohmann stand der Berliner Kriminalbeamte Ernst
Gennat Pate, der aufgrund seiner unkonventionellen Ermittlungsmethoden
Berühmtheit erlangte. 1931 wurde "M", dessen Untertitel
zunächst "Mörder unter uns" lauten sollte, dann
in "Dein Mörder sieht dich an" geändert wurde
bis es schließlich bei "Eine Stadt sucht einen Mörder"
blieb, nach langer Diskussion nicht für Jugendliche unter 18
Jahren freigegeben, von den Nazis wurde der Film 1934 gänzlich
verboten. Fritz Lang setzte sich wie Peter Lorre in die USA ab und
machte eine große Karriere in Hollywood. Nach 1956 kam er
zurück nach Europa.
Die ursprüngliche
Fassung des Films war 117 Minuten lang, Teile des Originalfilms
gingen aber verloren, so dass der Film bei seiner Wiederaufführung
in den deutschen Lichtspielhäusern 1960 nur noch 103 Minuten
lang war. Für die DVD Bearbeitung aus dem Jahr 2003 wurden
noch einmal zusätzliche, inzwischen wieder aufgefundene Szenen
in den Film montiert, so dass sich daraus eine Gesamtlänge
von 105 Minuten ergab. Ein Gremium aus Filmjournalisten wählte
"M - Eine Stadt sucht einen Mörder" 1995 zum wichtigsten
deutschen Film des 20. Jahrhunderts.
Dieser Meinung
möchte der Rezensent sich allerdings nicht ganz anschließen,
vergibt aber eine mehr als verdiente und überaus deutliche
Wertung von vier Fledermäusen.
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