Dracula

Eigentlich
sollte dem jungen Lord Holmwood die Sonne aus dem Allerwertesten
funkeln, ist er doch ein schicker, reicher, gebildeter Vertreter
der Oberklasse, der gerade Titel und Vermögen seines alten
Herren geerbt hat. Zudem steht in Bälde die Vermählung
mit der schönen Lucy Westenra an, die auch von seinem Freund
und Nebenbuhler Dr. Seward heftig begehrt wird, doch ihm, dem Aristokraten,
gibt die Holde den Vorzug. Alles bestens also, oder? Doch wenn du
denkst, was soll passieren, bös' Fatum wird's dir dirigieren!
Und so geht es auch unserem juvenilen Galan, der erfahren muss,
dass der Herr Papa an der Geißel des 19. Jahrhunderts dahingeschieden
ist, der Syphilis, die er freundlicherweise dem Sohnemann schon
mit der Zeugung vererbt hat (bin ja kein Medizinmann, aber funktioniert
das wirklich so? Hab da meine Zweifel
).
Nein, nein,
bedauern sie das Lordchen nicht allzu sehr, denn statt auf den Rat
der weisen Medizinmänner zu hören und der lieblichen Maid
über den fatalen Gesundheitszustand reinen Wein einzuschenken,
schlägt der Standesdünkel bei ihm durch, und so lässt
er sich skrupellos mit dem zwielichtigen Sektierer Singleton auf
eine Intrige ein, die ihm zwar eine Heilung von seinem Leiden in
Aussicht stellt, doch um welchen Preis?
Schon beginnen die Räder zu greifen. Der junge Anwalt Harker,
der Verlobte von Lucys Busenfreundin Mina Murray, wird gen Transsylvanien
gesandt um mit dem Karpaten Edelmann Dracula ein vermeintlich lukratives
Immobiliengeschäft betreffs des Erwerbs von Grund in England
abzuschließen. In Wahrheit dient die Mission nur dazu, Dracula
mit den entsprechenden Papieren auszustatten, die es diesem ermöglichen
sollen nach England zu reisen. Für den Advokaten wird es eine
Reise in den Tod, denn, und das wird sie jetzt schockieren, Dracula
ist eine abscheuliche Kreatur (Trommelwirbel): ein Untoter, ein
Blutsauger, ein gruseliger Vampir (Crescendo)!
OK, ich sehe,
das trifft Sie jetzt nicht gänzlich überraschend. Der
Nosferatu reist also auf altbekannte Weise mit dem Schiff Demeter
ins UK und verputzt unterwegs die gesamte Crew, um dort angekommen
sich sogleich über die süßen Damenhälse im
Umfeld Holmwoods herzumachen. Doch Gottlob behält Dr. Seward
einen kühlen Kopf, befreit den Gelehrten Professor van Helsing
aus dem Kellerkerker Singletons und bläst nun mit dessen Unterstützung
zur Halali auf den Unheimlichen, denn nicht weniger als das Seelenheil
des christlichen Abendlands steht auf dem Spiel

Das
ist sie also, die gefühlte 1405te Verfilmung nach Motiven der
berühmten Geschichte, die sich der Theatermann Bram
Stoker ersann und weiland 1897 veröffentlichte. Um es gleich
vorweg zu nehmen, so salopp wie sich die Zusammenfassung jetzt gelesen
haben mag, der schlechtesten einer aller "Dracula" Filme
ist dieser gewiss nicht.
Wozu aber braucht
Mensch eigentlich noch einen neuen Film über den sinistren
Grafen mit den langen Zähnchen, nachdem sich doch bereits so
illustre Herrschaften wie Murnau,
Browning,
Fisher,
Badham, Herzog oder Coppola sich an dem Stoff versucht haben, nur
um mal ein paar Namen derer in den Topf zu werfen, jeweils mal mehr,
mal weniger eng an der Vorlage und freilich auch mit sehr unterschiedlichen
Resultaten?
Lockt ein neuer Film mit dem Titel "Dracula" noch irgendwen
hinterm Ofen hervor?
Sehr wohl tut er das, und ob man einen solchen Film wirklich braucht
oder nicht ist auch eigentlich gar nicht die Frage, denn als ein
dem Vampirfilmgenre geneigten Sterblichen erfasst zumindest meine
Mickrigkeit einfach ein gewisses Kribbeln sobald ich etwas darüber
vernehme, dass eine filmische Neuinterpretation des Romans ansteht.
Muss also wohl noch irgendwas dran sein, an diesem inzwischen über
100 Jahre altem Kadaver, den sich diesmal ein gewisser Herr namens
Bill Eagles vornahm und sich anschickte, ihm neues Leben einzuhauchen!
Dies tat der Mensch im Auftrag der altehrwürdigen Tante BBC,
dem britischen Brotkasten, der Radio und Fernsehen backt, und somit
war auch sogleich klar, diese Adaption wurde mitnichten für
die Lichtspielhäuser hergestellt, sondern vielmehr für
den viereckigen Kasten im heimischen Wohnzimmer! Ist dies negativ
zu bewerten? Im Gegenteil! Zum einen entzieht sich eine solche Produktion
(zumindest in gewisser Weise) dem kommerziellen Druck, dem ein potenzieller
Multiplex-Blockbuster zwangsläufig unterliegen muss, was wiederum
bedeutet, man bleibt von nerviger Over the Top Action a la Van
Helsing und digitalem CGI-Overkill weitestgehend verschont.
Wäre auch eher nicht im Sinne der Vorlage, oder? Zum anderen,
und das habe ich ja in anderen Zusammenhängen bereits häufiger
erwähnt, ist gerade das Medium Fernsehfilm/Serie in der letzten
Zeit zu einem überaus interessanten und qualitativ hochwertigen
solchen gereift, was wohl nicht nur in der immensen Kostenexplosion
bei der Produktion von Kinofilmen begründet liegt, sondern,
zumindest hoffe ich dies, auch mit einem gewissen Umdenken der Fernsehgewaltigen
in Sachen Qualität. Hinfort mit der Dauerverblödungsberieselung
des "Prekariaten TV", Willkommen anspruchsvolle Unterhaltung.
Okay, träum weiter, aber immerhin, eine gewisse Kehrtwende
diesbezüglich ließ sich in den letzten Jahren durchaus
verorten. Erstaunlicherweise aber wurde diese Fackel eher von den
USA in die Welt getragen denn vom humanistischen Europa aus. Aber
gut, sei es drum! Wir wollen ja eigentlich klären, wie er denn
nun ist, der neue Dracula, gelle?
Eines ist ja
sowieso klar: Jeden neuen Auftritt des Grafen umspukt auch ein besonderer
Geist, der Zeitgeist nämlich, dem es nun mal geschuldet ist,
dass Langzahn Vlad,
der ja längst Teil der Popkultur geworden ist, immer auch ein
wenig danach aussieht. Deshalb traut man ja dieser Tage eher selten
älteren graumelierten Herren mit ungarischem Akzent und operettenhaftem
Gehabe die Titelrolle an, und so hat man auch hier einem jugendlichen,
eher untypischen Darsteller den Vorzug gegeben, nämlich dem
dandyhaften Marc Warren, der in Maske und Darstellung vielleicht
etwas an den jungen Malcolm McDowell erinnert, ob gewollt oder nicht
lass ich mal dahin gestellt, im waren Leben tatsächlich aber
eher dem Popstar Sting vor etwa 25 Jahren ähnelt. Als Dracula
scheint Warren zunächst gewöhnungsbedürftig, weiß
aber auf seine Art zu überzeugen, und wenn man sich erst einmal
vom Lugosi/Lee/Langella
(Liste ließe sich entsprechend verlängern) Schema im
Kopf freigeschwommen hat, ist Warren als fieser Vampir richtig klasse.
Leichte Abzüge gibt es hierbei höchstens in seiner Darstellung
des "alten" Draculas, was zwar auch der eher schwächeren
Maske geschuldet ist, aber Warren wirkt halt nicht wie ein alter
Mann. Den jungen, energischen, virilen Dracula verkörpert er
ein wenig in der Chris
Lee Tradition des omnipotenten viktorianischen Übermenschen
mit Weltherrschaftsanspruch, aber dies eben durchaus mit eigener
Note. Hier kann der Film deutlich punkten! Leider sind die anderen
Darsteller nicht unbedingt gleichermaßen überzeugend.
Rafe Spall bleibt als Harker, der diesmal von seinem Karpatentrip
nicht wiederkehrt, ziemlich farblos (aber mehr gesteht ihm, das
muss fairerweise erwähnt werden, das Drehbuch auch nicht zu),
Stephanie Leonidas und Sophia Myles als Mina und Lucy sehen hübsch
aus, vermögen aber keine Akzente zu setzen, Dan Stevens kann
als tragischer Lord Holmwood die Tiefe seiner Figur nicht ausloten.
David Suchet hingegen macht seine Sache als Abraham van Helsing
wieder recht gut, auch wenn ihm das Drehbuch einen gänzlich
anderen Typen verpasst hat, als wir ihn von den recht physischen
Darstellungen eines Peter Cushing oder Anthony Hopkins gewohnt sind.
Eine gelungene Überraschung ist, dass man hier den Dr. Seward,
der ja in vielen Verfilmungen höchstens in der zweiten Reihe
wirkte, als jungen Helden an van Helsings Seite stellte, und Tom
Burke, Sewards Darsteller, wusste diese Herausforderung zu stemmen,
kann man sagen.
Die Grundidee,
die altbekannte Mär diesmal aus einer ganz anderen Sicht zu
erzählen, ist nicht schlecht, wobei sich Steward Harcourt in
seinem Drehbuch allerdings das eine oder andere Eigentor schoss,
darüber aber kann man schon hinweg sehen. Die Syphiliserkrankung
Holmwoods und die daraus resultierenden Ränke empfand ich als
originelle Idee, und Dracula, Seward und van Helsing gefielen in
ihrer ungewöhnlichen Art. Natürlich ist hier alles eine
Spur kleiner und kostengünstiger als beim barocken, verschwenderischen
Coppola Film von vor anderthalb Dekaden, dennoch ist die Ausstattung
auch hier, typisch BBC, hervorragend und authentisch und sorgt für
klassische Apel/Laun'sche Schauer der düster romantischen Art.
Das kann man als altmodisch bezeichnen, und ja, in diesem Falle
trifft das auch zu, und im Prinzip macht das ja auch überhaupt
nichts, aaaaaber, und das ist der Pferdefuß (immer muss es
einen geben), leider fehlt es der Inszenierung auch aus diesem Grund
ein wenig an Rasanz, an Dramatik, an Action, Erotik, Hektik, Fußpilz,
kurz an Höhepunkten. Die großen Gefühle der Coppola
oder Badham Filme kommen hier einfach nicht auf, das Tempo der Verfolgungsjagden,
das große Finale aus Fishers Film, all dies bietet uns Regisseur
Bill Eagles höchstens am Ansatz, und das ist schade und letztlich
auch der Grund, warum wir es hier zwar mit einer ganz guten (im
Großenganzen) filmischen Interpretation des ollen Schmökers
zu tun haben, nicht aber mit einem wirklich großen, famosen,
wegweisenden Meilenstein, dem man noch in 30 Jahren huldigen wird.
Aber wie ich schon sagte, es gibt genügend Gründe sich
den Film anzusehen, und einer der besten ist einfach die Tatsache,
dass hier Leute am Werk waren, die der altbekannten Erzählung
vom lustigen Lutscher hinter den sieben Bergen tatsächlich
noch neue Akzente abzugewinnen wussten. Schön das!


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