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Dracula  

GB 2006, Farbe, 90 Minuten

 
Regie Bill Eagles
Drehbuch Stewart Harcourt
Vorlage Dracula, Bram Stoker
Produzenten Trevor Hopkins, Julie Gardner
Kamera Cinders Forshaw
Musik Dominik Scherrer
Marc Warren Graf Dracula
David Suchet Abraham van Helsing
Dan Stevens Arthur Holmwood
Stephanie Leonidas Mina Murray
Sophia Myles Lucy Westenra
Tom Burke Dr. Seward

Eigentlich sollte dem jungen Lord Holmwood die Sonne aus dem Allerwertesten funkeln, ist er doch ein schicker, reicher, gebildeter Vertreter der Oberklasse, der gerade Titel und Vermögen seines alten Herren geerbt hat. Zudem steht in Bälde die Vermählung mit der schönen Lucy Westenra an, die auch von seinem Freund und Nebenbuhler Dr. Seward heftig begehrt wird, doch ihm, dem Aristokraten, gibt die Holde den Vorzug. Alles bestens also, oder? Doch wenn du denkst, was soll passieren, bös' Fatum wird's dir dirigieren! Und so geht es auch unserem juvenilen Galan, der erfahren muss, dass der Herr Papa an der Geißel des 19. Jahrhunderts dahingeschieden ist, der Syphilis, die er freundlicherweise dem Sohnemann schon mit der Zeugung vererbt hat (bin ja kein Medizinmann, aber funktioniert das wirklich so? Hab da meine Zweifel…).

Nein, nein, bedauern sie das Lordchen nicht allzu sehr, denn statt auf den Rat der weisen Medizinmänner zu hören und der lieblichen Maid über den fatalen Gesundheitszustand reinen Wein einzuschenken, schlägt der Standesdünkel bei ihm durch, und so lässt er sich skrupellos mit dem zwielichtigen Sektierer Singleton auf eine Intrige ein, die ihm zwar eine Heilung von seinem Leiden in Aussicht stellt, doch um welchen Preis?
Schon beginnen die Räder zu greifen. Der junge Anwalt Harker, der Verlobte von Lucys Busenfreundin Mina Murray, wird gen Transsylvanien gesandt um mit dem Karpaten Edelmann Dracula ein vermeintlich lukratives Immobiliengeschäft betreffs des Erwerbs von Grund in England abzuschließen. In Wahrheit dient die Mission nur dazu, Dracula mit den entsprechenden Papieren auszustatten, die es diesem ermöglichen sollen nach England zu reisen. Für den Advokaten wird es eine Reise in den Tod, denn, und das wird sie jetzt schockieren, Dracula ist eine abscheuliche Kreatur (Trommelwirbel): ein Untoter, ein Blutsauger, ein gruseliger Vampir (Crescendo)!

OK, ich sehe, das trifft Sie jetzt nicht gänzlich überraschend. Der Nosferatu reist also auf altbekannte Weise mit dem Schiff Demeter ins UK und verputzt unterwegs die gesamte Crew, um dort angekommen sich sogleich über die süßen Damenhälse im Umfeld Holmwoods herzumachen. Doch Gottlob behält Dr. Seward einen kühlen Kopf, befreit den Gelehrten Professor van Helsing aus dem Kellerkerker Singletons und bläst nun mit dessen Unterstützung zur Halali auf den Unheimlichen, denn nicht weniger als das Seelenheil des christlichen Abendlands steht auf dem Spiel…


Das ist sie also, die gefühlte 1405te Verfilmung nach Motiven der berühmten Geschichte, die sich der Theatermann Bram Stoker ersann und weiland 1897 veröffentlichte. Um es gleich vorweg zu nehmen, so salopp wie sich die Zusammenfassung jetzt gelesen haben mag, der schlechtesten einer aller "Dracula" Filme ist dieser gewiss nicht.

Wozu aber braucht Mensch eigentlich noch einen neuen Film über den sinistren Grafen mit den langen Zähnchen, nachdem sich doch bereits so illustre Herrschaften wie Murnau, Browning, Fisher, Badham, Herzog oder Coppola sich an dem Stoff versucht haben, nur um mal ein paar Namen derer in den Topf zu werfen, jeweils mal mehr, mal weniger eng an der Vorlage und freilich auch mit sehr unterschiedlichen Resultaten?
Lockt ein neuer Film mit dem Titel "Dracula" noch irgendwen hinterm Ofen hervor?
Sehr wohl tut er das, und ob man einen solchen Film wirklich braucht oder nicht ist auch eigentlich gar nicht die Frage, denn als ein dem Vampirfilmgenre geneigten Sterblichen erfasst zumindest meine Mickrigkeit einfach ein gewisses Kribbeln sobald ich etwas darüber vernehme, dass eine filmische Neuinterpretation des Romans ansteht. Muss also wohl noch irgendwas dran sein, an diesem inzwischen über 100 Jahre altem Kadaver, den sich diesmal ein gewisser Herr namens Bill Eagles vornahm und sich anschickte, ihm neues Leben einzuhauchen! Dies tat der Mensch im Auftrag der altehrwürdigen Tante BBC, dem britischen Brotkasten, der Radio und Fernsehen backt, und somit war auch sogleich klar, diese Adaption wurde mitnichten für die Lichtspielhäuser hergestellt, sondern vielmehr für den viereckigen Kasten im heimischen Wohnzimmer! Ist dies negativ zu bewerten? Im Gegenteil! Zum einen entzieht sich eine solche Produktion (zumindest in gewisser Weise) dem kommerziellen Druck, dem ein potenzieller Multiplex-Blockbuster zwangsläufig unterliegen muss, was wiederum bedeutet, man bleibt von nerviger Over the Top Action a la Van Helsing und digitalem CGI-Overkill weitestgehend verschont. Wäre auch eher nicht im Sinne der Vorlage, oder? Zum anderen, und das habe ich ja in anderen Zusammenhängen bereits häufiger erwähnt, ist gerade das Medium Fernsehfilm/Serie in der letzten Zeit zu einem überaus interessanten und qualitativ hochwertigen solchen gereift, was wohl nicht nur in der immensen Kostenexplosion bei der Produktion von Kinofilmen begründet liegt, sondern, zumindest hoffe ich dies, auch mit einem gewissen Umdenken der Fernsehgewaltigen in Sachen Qualität. Hinfort mit der Dauerverblödungsberieselung des "Prekariaten TV", Willkommen anspruchsvolle Unterhaltung. Okay, träum weiter, aber immerhin, eine gewisse Kehrtwende diesbezüglich ließ sich in den letzten Jahren durchaus verorten. Erstaunlicherweise aber wurde diese Fackel eher von den USA in die Welt getragen denn vom humanistischen Europa aus. Aber gut, sei es drum! Wir wollen ja eigentlich klären, wie er denn nun ist, der neue Dracula, gelle?

Eines ist ja sowieso klar: Jeden neuen Auftritt des Grafen umspukt auch ein besonderer Geist, der Zeitgeist nämlich, dem es nun mal geschuldet ist, dass Langzahn Vlad, der ja längst Teil der Popkultur geworden ist, immer auch ein wenig danach aussieht. Deshalb traut man ja dieser Tage eher selten älteren graumelierten Herren mit ungarischem Akzent und operettenhaftem Gehabe die Titelrolle an, und so hat man auch hier einem jugendlichen, eher untypischen Darsteller den Vorzug gegeben, nämlich dem dandyhaften Marc Warren, der in Maske und Darstellung vielleicht etwas an den jungen Malcolm McDowell erinnert, ob gewollt oder nicht lass ich mal dahin gestellt, im waren Leben tatsächlich aber eher dem Popstar Sting vor etwa 25 Jahren ähnelt. Als Dracula scheint Warren zunächst gewöhnungsbedürftig, weiß aber auf seine Art zu überzeugen, und wenn man sich erst einmal vom Lugosi/Lee/Langella (Liste ließe sich entsprechend verlängern) Schema im Kopf freigeschwommen hat, ist Warren als fieser Vampir richtig klasse. Leichte Abzüge gibt es hierbei höchstens in seiner Darstellung des "alten" Draculas, was zwar auch der eher schwächeren Maske geschuldet ist, aber Warren wirkt halt nicht wie ein alter Mann. Den jungen, energischen, virilen Dracula verkörpert er ein wenig in der Chris Lee Tradition des omnipotenten viktorianischen Übermenschen mit Weltherrschaftsanspruch, aber dies eben durchaus mit eigener Note. Hier kann der Film deutlich punkten! Leider sind die anderen Darsteller nicht unbedingt gleichermaßen überzeugend. Rafe Spall bleibt als Harker, der diesmal von seinem Karpatentrip nicht wiederkehrt, ziemlich farblos (aber mehr gesteht ihm, das muss fairerweise erwähnt werden, das Drehbuch auch nicht zu), Stephanie Leonidas und Sophia Myles als Mina und Lucy sehen hübsch aus, vermögen aber keine Akzente zu setzen, Dan Stevens kann als tragischer Lord Holmwood die Tiefe seiner Figur nicht ausloten. David Suchet hingegen macht seine Sache als Abraham van Helsing wieder recht gut, auch wenn ihm das Drehbuch einen gänzlich anderen Typen verpasst hat, als wir ihn von den recht physischen Darstellungen eines Peter Cushing oder Anthony Hopkins gewohnt sind. Eine gelungene Überraschung ist, dass man hier den Dr. Seward, der ja in vielen Verfilmungen höchstens in der zweiten Reihe wirkte, als jungen Helden an van Helsings Seite stellte, und Tom Burke, Sewards Darsteller, wusste diese Herausforderung zu stemmen, kann man sagen.

Die Grundidee, die altbekannte Mär diesmal aus einer ganz anderen Sicht zu erzählen, ist nicht schlecht, wobei sich Steward Harcourt in seinem Drehbuch allerdings das eine oder andere Eigentor schoss, darüber aber kann man schon hinweg sehen. Die Syphiliserkrankung Holmwoods und die daraus resultierenden Ränke empfand ich als originelle Idee, und Dracula, Seward und van Helsing gefielen in ihrer ungewöhnlichen Art. Natürlich ist hier alles eine Spur kleiner und kostengünstiger als beim barocken, verschwenderischen Coppola Film von vor anderthalb Dekaden, dennoch ist die Ausstattung auch hier, typisch BBC, hervorragend und authentisch und sorgt für klassische Apel/Laun'sche Schauer der düster romantischen Art. Das kann man als altmodisch bezeichnen, und ja, in diesem Falle trifft das auch zu, und im Prinzip macht das ja auch überhaupt nichts, aaaaaber, und das ist der Pferdefuß (immer muss es einen geben), leider fehlt es der Inszenierung auch aus diesem Grund ein wenig an Rasanz, an Dramatik, an Action, Erotik, Hektik, Fußpilz, kurz an Höhepunkten. Die großen Gefühle der Coppola oder Badham Filme kommen hier einfach nicht auf, das Tempo der Verfolgungsjagden, das große Finale aus Fishers Film, all dies bietet uns Regisseur Bill Eagles höchstens am Ansatz, und das ist schade und letztlich auch der Grund, warum wir es hier zwar mit einer ganz guten (im Großenganzen) filmischen Interpretation des ollen Schmökers zu tun haben, nicht aber mit einem wirklich großen, famosen, wegweisenden Meilenstein, dem man noch in 30 Jahren huldigen wird. Aber wie ich schon sagte, es gibt genügend Gründe sich den Film anzusehen, und einer der besten ist einfach die Tatsache, dass hier Leute am Werk waren, die der altbekannten Erzählung vom lustigen Lutscher hinter den sieben Bergen tatsächlich noch neue Akzente abzugewinnen wussten. Schön das!



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