Lemora:
A Child's Tale of the Supernatural
AKA:
Lemora, Lady Dracula, Legendary Curse of Lemora, Lemora - Innocence
Possessed

Der
Süden der USA, irgendwann in den dreißiger Jahren des
20. Jahrhunderts.
Lila Lee, die 13jährige Tochter des flüchtigen Gangsters
Alvin Lee, der seine eigene Ehefrau - Lilas Mutter - und deren Liebhaber
in flagranti im Bett erwischte und sie voller Blei pumpte, lebt
als Adoptivtochter im Haus des Baptistenpredigers Reverend Mueller
und singt engelsgleich in dessen Gottesdiensten. Lila ist ein frommes,
gottesfürchtiges Mädchen und Mueller bemüht sich
redlich, seine "mannhaften" Gefühle dem jungen Mädchen
gegenüber, das sich allmählich zu einer Frau entwickelt,
unter Kontrolle zu halten.
Eines Tages
erreicht Lila ein mysteriöser Brief von einer Dame namens Lemora,
die eine Art Waisenhaus führt. Ihr Vater sei bei ihr, er liege
im Sterben und erbäte sich Vergebung für all seine Untaten
von seiner Tochter, die er gern noch einmal sehen würde. Noch
in der folgenden Nacht macht sich Lila auf, die verlorene Seele
ihres Vaters zu retten und stiehlt sich heimlich aus des Reverends
Haus davon, denn, so ist sie sich sicher, er würde vermutlich
versuchen, sie von ihrem Vorhaben abzubringen, hinterlässt
Mueller jedoch, ganz das gute Kind, noch eine Notiz um ihn von ihren
Absichten zu unterrichten.
Voller Gottvertrauen
macht sich das Mädchen auf den Weg zu jenem mysteriösen
Ort, an dem ihr Vater mit dem Tode ringt, doch bereits an der nächsten
Busstation, welcher sich offensichtlich im Rotlichtbezirk der Stadt
befindet, beginnt es bizarr zu werden. Der Fahrkartenverkäufer
grinst ein wenig zu schleimig und der Busfahrer, dessen einziger
Fahrgast Lila bleibt, scheint ein potentieller Irrer zu sein. Als
nach langer Fahrt der Bus in einem nächtlichen Wald stehen
bleibt, fallen monströse Tiermenschen (Werwölfe?) über
sie und den Fahrer her, der offensichtlich von ihnen verschleppt
wird. Lila kann zwar zunächst entkommen, verliert aber dann
das Bewusstsein.
Als sie wieder
erwacht befindet sie sich in einer kleinen verschlossenen Hütte.
Da erscheint eine alte Frau, einer schrumpeligen Hexe gleich, die
ihr zwar ein Essen bringt, sie aber zu Tode erschreckt. Lila muss
einen weiteren Tag in der verschlossenen Klause verbringen, zwischendurch
erscheinen immer wieder seltsam blasse Kinder am vergitterten Fenster,
die Lila gleichermaßen erschrecken und necken. Als am Abend
die schreckliche Alte erneut erscheint, gelingt es Lila sie zu überwältigen
und in das große Haus gegenüber ihres Gefängnisses
einzudringen. Dort begegnet sie der rätselhaften Lemora, der
Verfasserin des Briefes, wegen dem Lila sich auf die alptraumhafte
Reise begab. Lemora, die ein seltsames Interesse an Lila zu haben
scheint, badet sie, speist sie mit obskuren Dingen und Tränken
und singt mit ihr. Allmählich lernt Lila all die weiteren sonderbaren
Hausbewohner kennen und es wird zunehmend unheimlicher.
Der Alptraum
steigert sich ins unermessliche, als Lila feststellt, in welchem
Zustand ihr Vater ist und was für ein monströses Wesen
sich tatsächlich hinter der Fassade der gütigen Lemora
verbirgt. Inzwischen hat sich auch Reverend Mueller auf den Weg
gemacht, seine geliebte Lila nach hause zu holen. Wird es dem Gottesmann
gelingen, Lila Lee aus den Fängen Lemoras zu befreien?

Als würden
der "Lolita" Autor Vladimir Nabokov, Peter Weir in seiner
"Picknick am Valentinstag" Phase und die Gebrüder
Grimm David Lynch in Twin Peaks besuchen, damit dort alle zusammen
einen draufmachen können, so in etwa wirkt Richard Blackburns
hochgradig kultiges Vampirmärchen aus dem Jahre 1973. Ok, Lynchs
filmische Arbeit steckte zu der Zeit noch in den Kinderschuhen und
auch Weirs formidabler "Valentinstag" entstand tatsächlich
erst zwei Jahre später, also 1975, aber ich sage ja nicht,
dass die Genannten Einfluss auf die Entstehung von "Lemora"
hatten, ich versuche lediglich anhand dieser bekannteren Filme und
Personen die Stimmung zu schildern, die der hier besprochene, leider
viel zu wenig bekannte Film vermittelt.
In Wahrheit,
so erzählt man sich immer wieder an den Lagerfeuern, habe Regisseur
/ Co Drehbuchautor / Schauspieler Richard Blackburn (spielt im Film
den gottesfürchtig geifernden Adoptiv-Vater Lilas) lediglich
den Vampirstreifenboom Anfang der 70'er in den USA ausnutzen wollen,
den die Count Yorga Filme (siehe hier
und hier) ausgelöst
hatten, um ordentlich Kohle abzuzocken. Dies allerdings darf man
wohl getrost ins Reich der Mythen abtun, denn eine Vielzahl von
Argumenten spricht dagegen.
"Lemora"
geriet hierfür viel zu ambitioniert, zu kryptisch, zu surreal
und bizarr, aber auch zu poetisch und hintergründig um auch
nur ansatzweise vermuten zu lassen, hier habe man es mit einem potentiellen
Blockbuster zu tun. Der Film ist schlicht zu anspruchsvoll dafür
und von gänzlich anderer Machart als die eher exploitationmäßig
angelegten Yorga Filme. Unverkennbar und offensichtlich sah sich
Blackburn beeinflusst von
HP Lovecraft und Charles Laughtons spätexpressionistischem
Meisterwerk "Die Nacht des Jägers" von 1955, in dem
sich ebenfalls Kinder auf eine gefahrvolle und alptraumhafte Reise
machen müssen.
Was aber diesen
Film von dem Laughtons so grundsätzlich unterscheidet und wieder
in die Nähe Lynchs und Weirs rückt, ist die gar nicht
mal so unterschwellige Erotik, die stets bei "Lemora"
mitschwingt. Da ist zum einen Lila, die sich ihrer Wirkung auf die
Männer gar nicht bewusst ist, die als frommes Christenmädchen
gar nicht merkt wie ihre Sexualität erwacht. Ausgerechnet dieses
Musterexemplar an Tugend im Körper einer Kindfrau stolpert
hier also durch allerlei groteske und demütigende Abenteuer,
kein Wunder, dass der Film gerade im irgendwie doch etwas (wie es
scheint) Lolita-fixiertem Frankreich (ohne Euch zu nahe treten zu
wollen, liebe Nachbarn auf der anderen Rheinseite) als einzigem
Land überhaupt zu einem akzeptablen Erfolg wurde.
Auf der anderen
Seite haben wir da Lemora, die Haare zu einem strengen Dutt hochgesteckt,
die Kleidung hochgeschlossen, doch in Wahrheit ist sie ein sukkubushafter
Vampir, der nach Lilas Blut lechzt. Die Metapher ist ja wohl nicht
ganz schwer zu verstehen, würde ich meinen. Der Reverend, der
sich heimlich nach dem Mädchen verzehrt, gehört ebenso
wie der pädophil wirkende Fahrkartenverkäufer zu den behaarten
"Werwölfen", die in den Wäldern lauern, und
die abschließende Metamorphose Lilas zu einem mächtigen
Wesen, das nun die sabbernden "Werwölfe" nicht mehr
zu fürchten braucht (dennoch kann man aber nicht gerade von
einem Happy End sprechen), muss nun eigentlich nicht mehr in irgendeiner
Form erklärt werden, oder?
Somit funktioniert
"Lemora" also tatsächlich ein wenig ähnlich
wie die guten alten Märchen der Grimms und Konsorten, die ja
eher eine Sammlung überlieferter Volkserzählungen sind
und von erotischen Anspielungen und ausschweifendem Gedankengut
nur so strotzen. Ganz sicher waren die blutrünstigen Geschichten
um Hexenverbrennungen, kinderstehlende Dämonen und männermordende
Intrigantinnen genau so wenig als Gute-Nacht-Geschichten für
Kinder gedacht, wie dieser Film es ist.
Zwar würde ich nicht so weit gehen, zu behaupten, man habe
es hier mit einem Meisterwerk zu tun, aber mit einem ziemlich ungewöhnlichen,
verstörenden, unheimlichen, abgedrehten und interessanten Vetreter
seiner Gattung allemal, vielleicht sogar mit einem der besten Vampirfilme
seiner Dekade.
In Deutschland
ist dieser Film (einmal mehr) leider nie erschienen, im englischsprachigen
Raum musste man sich ziemlich lange Jahre über mit einer VHS
Version, die Anfang der 90'er Jahre mal irgendwann die Firma "Moore
Video" herausgab (und die dieser Rezension zugrunde liegt)
begnügen, im letzten Jahr erschien der Film dann endlich auch
auf einer hervorragend gemachten (wie man liest) DVD bei "Synapse",
einem US Label, über das ich ehrlich gesagt nichts weiß,
außer das man sich dort unbedingt diesen Film besorgen sollte.
Ihr Damen und
Herren deutscher DVD Manufakturen, findet Ihr nicht, es wäre
an der Zeit, diesen fast vergessenen Klassiker endlich auch dem
hiesigen Markt zur Verfügung zu stellen? Ich bin mir sicher,
er fände seine Käufer...



|