Wir erinnern
uns an die Ereignisse des ersten
Films: Von den Menschen unbemerkt leben mitten unter ihnen
die "Anderen" - Magier, Hexer, Gestaltenwandler, Vampire
- die entweder dem Pfad der Dunkelheit oder dem des Lichtes folgen.
Einem uralten Friedensvertrag Folge leistend kontrollieren die
beiden Seiten sich zwar immerzu gegenseitig, lauern aber stets
auch darauf, den Gegner im entscheidenden Moment übervorteilen
zu können. Dereinst hatte der junge Anton, der sich noch
nicht bewusst war ein lichter Magier zu sein, das Schicksal zugunsten
der dunklen Mächte entscheidend beeinflusst, hätte er
doch fast aus verletztem Stolz über die Trennung von seiner
Freundin mit einem sinsitren Fluch seinen ungeborenen Sohn getötet.
12 Jahre später ist Anton ein Mitglied der Moskauer Nachtwache,
der Elitetruppe der Lichten und das Schicksal (gibt es das überhaupt
in diesem uralten Spiel?) will es, dass sein Weg den seines Sohnes
kreuzt. Nach einem denkwürdigen Kampf mit Zavulon, dem Chef
der Dunklen, läuft Jegor enttäuscht von seinem Vater,
der ihn, wie ihm nun klar ist, ja dereinst beinahe zum Kindsmörder
wurde, zu den Dunklen über und bringt das immerwährende
Gleichgewicht zwischen den beiden Kräften erheblich ins Wanken,
reift in ihm doch der vielleicht mächtigste Andere aller
Zeiten heran.
Inzwischen
ist ein Jahr ins Land gegangen. Gezer, der Chef der Lichten, hat
längst erkannt, dass in der schönen Svetlana, die sich
im ersten Teil unbewusst selber mit einem gewaltigen Bann beladen
hatte, dem beinahe ganz Moskau zum Opfer gefallen wäre, auch
auf Seiten der Lichten eine übermächtige Andere heranwächst,
die das Ungleichgewicht wieder ausbalanciert. Anton, der dies
noch nicht ahnt, ist für ihre Ausbildung zuständig und
liebt sie heimlich, was sein Leben nur noch komplizierter gestaltet.
Als die beiden eine unheimliche Überfallserie der Dunklen
aufklären sollen, stößt Anton erstmals wieder
auf Jegor, der inzwischen ganz der Finsternis verfallen ist und
sich auf vampirische Weise von der Lebenskraft der Sterblichen
nährt. Lässt sich vielleicht mithilfe der Kreide des
Schicksals, einem magischen Artefakt, mit dem der Legende nach
die Geschichte umgeschrieben werden kann, all dies rückgängig
machen? Anton macht sich auf die Suche
Doch auch
Zavulon trachtet nach der Kreide. So wird Anton eine Reihe von
Morden an Mitgliedern der Tagwache ins staubige Schuhwerk geschoben,
was schließlich sogar das Auftauchen der Inquisition, der
gefürchteten richterlichen Instanz der Anderen, auf den Plan
ruft. Anton bleibt nichts anderes übrig als seinen Körper
mit dem seiner Kampfgefährtin Olga zu tauschen, doch reicht
dies aus um seine Feinde zu täuschen? Immerhin gelingt es
ihm Svetlana seine Liebe zu gestehen - in Olgas Körper! Als
er endlich wieder in der eigenen Haut in den Besitz der Zauberkreide
gerät und Jegors Namen auf eine Tafel schreibt, kommt dieser
tatsächlich zu ihm, entwendet ihm aber rasend vor Eifersucht
auf Svetlana das gute Stück.
Schließlich
versammeln sich im Hauptquartier der Dunklen, einem riesigen Moskauer
Luxushotel, eben jene um den 13. Geburtstag Jegors mit einem gewaltigen
Fest zu begehen. Angetrieben vom Mut der Verzweifelung begibt
sich Anton in diese Höhle des Löwen, wird dort aber
nur verspottet. Voller Gram lässt er sich vollaufen. Als
Svetlana auf der Suche nach unserem gebrochenen Helden ebenfalls
auf dem inzwischen reichlich ekstatischen Fest auftaucht, gerät
sie schließlich in ein magisches Duell mit Jegor, welches
das Ende der Welt herbeizuführen droht. Endlich erkennt Anton
seine Rolle im Gefüge und die wahre Bedeutung der Kreide
des Schicksals...
Dass der erste
Teil dieses in jeglicher Hinsicht vollkommen außergewöhnlichen
Kinospektakels in Russland alle Rekorde brach und Jacksons "Herren
der Ringe" wie auch die "Harry Potter" Filme auf
die Plätze verwies, ja sogar für nichts weniger als
den Neubeginn des russischen Kinos überhaupt sorgte, ist
inzwischen sozuagen Geschichtsschreibung. Sonnenklar, dass man
sich da mit breiter Brust an den zweiten Teil von Sergej Lukianenkos
im Prinzip äußerst schwer verfilmbaren literarischen
Vorlage der Wächter-Tetralogie machte - und gewann! Der Erfolg
des ersten Teils wurde ganz lässig überflügelt.
Nach nur zehn Tagen konnte man in Russland bereits ein Einspielergebnis
von über 20 Millionen US$ verbuchen. So etwas hatte es dortzulande
noch nie gegeben, und man muss sich mal vor Augen halten, dass
es im ganzen riesigen Russland ungefähr so viele Kinos gibt
wie hierzulande in der Region Rhein/Ruhr, also in etwa dem Landstrich
zwischen Münster und Bonn, das Ruhrgebiet und die Großstädte
Köln und Düsseldorf inklusive. Man vergleiche nur mal
diese rund 100 km mit der Fläche von der Grenze zur Ukraine
im Westen bis nach Vladiwostok an der pazifischen Küste oder
von Irkutsk an der mongolischen Grenze bis an die eisigen Gestade
der Laptew See im hohen Norden. Ist klar?
Doch auch
beim ehemaligen Klassenfeind landete man mit Teil eins statt nur
eines Achtungserfolges durchaus einen veritablen Blockbuster,
und das obschon anders als im deutschsprachigen Raum der Film
in der Welt der angelsächsischen Zunge nur im russischen
Original mit englischen Untertiteln zu sehen war. Dennoch ist
nicht zu leugnen, dass der Film die Genrefans in unseren westlichen
Breiten in zwei Lager spaltete (was exemplarisch auch bei den
entsprechend lebhaften Diskussionen diesbezüglich in unserem
hauseigenen Forum nachzulesen ist.) Die einen waren hellauf begeistert
ob der düsteren, kalten Atmosphäre des winterlichen
Moskaus, dem kühlen und schmuddeligen Look des Films, der
unverbrauchten Gesichter und der ungewöhnlichen Erzählstruktur,
stellte dies doch aus Sicht der Wohlgesonnenen gepaart mit überzeugender
Action und MTVesker Bildmontage/Schnittfolge ein überaus
gelungenes visuelles Erlebnis dar, während aber auch Menschen
in nicht unwesentlicher Zahl das alles ganz anders sahen und den
Film einfach nur als verworren, schlecht und doof bezeichneten.
Das offene Ende und die vielen unbeantworteten Fragen taten ein
Übriges hinzu. Der Rezensent möchte bitte in den ersten
Topf geworfen werden!
Doch, wie
man immer so schön sagt, never change a winning Team, oder
meinethalben Konzept, beides wäre im vorliegenden Fall richtig,
so dachte auch Russlands neues Regiewunderkind Timur Bekmambetov
und führte sein Erfolgsrezept im Prinzip gleichermaßen
fort, was heißt, wem Teil 1 nicht gefiel, der wird auch
oder gerade dem zweiten Film nicht viel abgewinnen können.
Wieder werden nur jene Menschen die Handlung bis in die letzte
Konsequenz nachvollziehen können, die zumindest die ersten
beiden Bände Lukianenkos gelesen haben, wobei man in diesem
Fall noch viel freier mit der Vorlage umsprang als beim ersten
Mal, als man sich im Wesentlichen auf das erste Kapitel des ersten
Buches bezog. Diesmal orientierte man sich nur noch ganz grob
an den Werken, nahm Elemente aus dem ersten wie dem zweiten Buch,
fügte viele eigene Ideen hinzu und wob daraus eine neue Geschichte.
Somit ist auch der Titel "Wächter des Tages" nicht
ganz korrekt, denn schließlich wird - ganz anders als im
Buch, in dem die Erzählperspektive wechselte - eigentlich
Antons Geschichte weitergeführt, aber das geht in Ordnung,
Film verlangt ja ohnehin nach eigenen Gesetzmäßigkeiten.
Nahezu alle
Figuren, die wir von den "Nachtwächtern" kennen,
treffen wir auch hier wieder, wenngleich auch nicht mit gleicher
Gewichtung ausgestattet. So übernimmt beispielsweise Antons
Nachbar, der sympathische Vampir Kostya, eine überaus tragende
Rolle, die ihm im Buch niemals zukommt, und sein Vater, auch eine
Randfigur zuvor, rückt erst recht eingreifend ins Zentrum
der Ereignisse. Bär und Tigerjunges hingegen tauchen nur
ganz kurz auf, haben aber ihre Momente. Wirklich jedem einzelnen
Mimen, und sei seine Rolle noch so klein, ist sein Spaß
am und seine Hingabe an das Projekt anzumerken. Konstantin Khabensky
ist hier erst recht ein hinreißender Anton, ganz kaltschnäuziger,
charismatischer Antiheld in der Tradition eines Serie Noir Privatermittlers
mit dunkler Vergangenheit, dem Herzen auf dem rechten Fleck und
einer Schwäche für schöne Frauen und hochprozentigen
Getränken. Galina Tyunina hat ihren großen Auftritt
im Body Switch Part, eben wenn sie den Anton im Körper ihrer
selbst gibt, was Momente grimmiger Komik innehat. Vladimir "Gezer"
Menshov und Viktor "Zavulon" Verzhbitsky liefern sich
ebenfalls einstweilen Momente großer Komik, die mitunter
an die "Odd Couple" Filme eines Walter Matthau und Jack
Lemmon gemahnen, so zum Beispiel in der Schluss-Sequenz. Überhaupt
ist der Humor hier noch in viel größerer Gewichtung
vorzufinden als im Vorgängerfilm. Ein skurriler Humor ist
das, einstweilen ein grimmiger, böser, wobei man aber nicht
gleich das Gefühl haben muss, man säße hier einer
"Horrorkomödie" auf. Dafür ist der Rahmen
auch viel zu episch. Zudem, zum großen Finale wird es ja
in jeglicher Hinsicht noch richtig apokalyptisch, was Bekmambetov
in beeindruckenden Bildern eines in sich zusammenstürzenden
Moskaus zeigt, die gewiss nicht den Eindruck vermitteln, der Film
habe insgesamt nur rund 4,2 Millionen $ an Produktionskosten verschlungen.
Hätte man diesen Film mit vergleichbarem Aufwand in Hollywood
entstehen lassen, ich bin sicher, man läge irgendwo bei 150
Millionen $ stattdessen. Das sagt doch was! Und wenn Anton sich
über die riesigen Trümmerfelder zur Hausfassade eines
abgerissenen Plattenbaus schleppt, um an die Wand mit der Zauberkreide
ein mahnendes "Njet" (das muss ja nicht übersetzt
werden, richtig?) zu kritzeln, dann kann man auch durchaus eine
gewisse Kritik an den bestehenden Verhältnissen - speziell,
aber nicht ausschließlich - im heutigen Russland darin lesen,
dass das alte Russland, jenes mit dem Bekmambetov und seine Generation
aufwuchs, immer weiter verdrängt, ja ersetzt, vom Westen
assimiliert wird. In eine ähnliche Kerbe zielen wohl auch
die Outfits der Nachtwächter, die ja in den groben Leinenjacken
der Moskauer Stadtwerke auftreten und mit bulligen alten Lastwagen
durch die Straßen brettern. Da lässt sich ein gewisser
Sowjet-Chic nicht verhehlen, dennoch wird die Kapitalismuskritik
sehr subtil an den Zuschauer gebracht, was ja eine große
Tradition in der Geschichte der Phantastik hat, und gerade im
heutigen Russland eines Vladimir Putin muss man ja wieder recht
vorsichtig sein mit dem Äußern von Kritik. Allerdings
haftet dieser Kritik auch etwas überaus Naives an, schließlich
haben auch Bekmambetov und sein Team schnell gelernt, wie man
heutzutage Blockbuster bastelt. Statt sich sklavisch an die Buchvorlagen
zu binden hat der große Meister seinen Film nach Testvorführungen
mehrfach umgeschnitten und ganze Elemente neu gedreht, um zum
Beispiel der Liebesgeschichte zwischen Anton und Svetlana mehr
Raum zu geben. Das gefalle dem weiblichen Publikum besser, so
Bekmambetov, der natürlich auch längst wohl die Möglichkeit
ins Auge gefasst haben wird, wohl schon bald im gelobten Land
mit den drei verheißungsvollen Buchstaben hauptsächlich
seinem Broterwerb nachgehen zu können.
Und wie geht
es nun weiter mit den Anderen um Anton und Svetlana? Der Schluss
der "Wächter des Tages" war ja durchaus ein eindeutiger
und vermittelte den Eindruck, die Geschichte sei nun zu Ende erzählt,
doch ursprünglich war ja von einer Trilogie die Rede, zumal
in Lukianenkos Vorlage ja noch zwei weitere Titel zur Verfügung
stünden, nämlich "Wächter des Zwielichts"
und "Wächter der Ewigkeit". Klar, wir haben es
hier mit einer Fantasy-Geschichte zu tun, da ist letztlich alles
möglich, aber man munkelte ja bereits lange, der dritte Teil
werde komplett in Amerika entstehen, mit amerikanischem Geld und
amerikanischen Stars. Namen wie Jack Nicholson, Brad Pitt und
Gary Oldman machten im weltumspannenden Netz die Runde, wobei
man nicht weiß, ob hier schon ernsthafte Verhandlungen aufgenommen
worden sind oder das alles letztlich doch nur aus der Gerüchteküche
herübergeweht kam. Im Pressegespräch der Berlinale verkündete
Bekmambetov selber, alles was er wisse ist, dass ein dritter Teil
geplant ist, den die 20th Century Fox koproduzieren werde, in
dem amerikanische wie russische Schauspieler mitwirken werden
und er, Bekmambetov, letztlich wieder die Regie übernehmen
wird.
Warten wir
also ab, ob und wie es weitergehen wird, schauen uns so lange
den vorliegenden Teil an und staunen immer wieder. Klar, zwar
ist der Film nicht mehr gleichermaßen überraschend
ausgefallen wie seinerzeit Wächter der Nacht, denn man ahnte
ja bereits in Kenntnis der ersten Verfilmung, was da auf einen
zukommen würde, zumal sich beide Filme sehr ähneln.
Dennoch ist es Bekmambetov abermals gelungen, uns gute zwei Stunden
lang perfekt zu unterhalten, uns eine atmosphärische Achterbahnfahrt
der anderen Art zu servieren und uns auf eine Reise an düstere
Orte mitzunehmen, auf der wir reichlich skurrile Typen treffen.
Bekmambetovs Version der "Wächter" ist auf jeden
Fall eine andere als die, die Lukianenko in seinen Büchern
vermittelt, doch überzeugend ist sie allemal. Bravo!