Lilith
Wir haben ja
an anderer Stelle bereits angekündigt, dass es in dieser Rubrik
zwar auch, aber eben nicht ausschließlich darum geht, den
Lebenslauf einiger Schauspieler, Regisseure, Autoren oder gar Serienmörder
wiederzugeben, sondern das wir uns gelegentlich auch fiktive Gestalten
aus Literatur und / oder Mythologie zur Brust nehmen um sie unserer
"Ahnengalerie" einzuverleiben (siehe hierzu beispielsweise
Graf Zahl.) Freilich muss die Annäherung
an ein solches Geschöpf eher eine Art Porträt denn eine
Biographie sein, aber da sei es drum.
So geht
es diesmal um Lilith, der jüdischen Mythologie nach Adams
erste Frau, die sich seinem Willen widersetzte und beim Sex
nicht unten liegen wollte, deshalb von Gott verflucht und
zu einem Dasein als Nachtdämon verurteilt wurde und somit
schließlich zur Urmutter aller Vampire geriet. Dies
allerdings ist, zugegeben, eine sehr triviale Zusammenfassung
des Ganzen, deshalb fangen wir an anderer Stelle an.
Nach uralter
rabbinischer Tradition waren in der Sohar (Kabbala) Lilith
und Adam gleich, beinahe Zwillinge. Sie wurde gleich ihm aus
Lehm geschaffen und ihr wurde Jahves Odem gleichermaßen
wie Adam eingehaucht, weswegen sie auch nicht einsehen wollte,
wieso sie dem Kerl denn Untertan sein sollte. Sie trieb sich
also herum und begann mit Dämonen Kinder zu zeugen, was
man eigentlich aus heutiger Sicht nur dahingehend interpretieren
kann, sie hat versucht, sich zu emanzipieren. Dies fand aber
weder Adam noch der Chef vom Ganzen, namentlich Jahve, Jehova,
Gott oder wie auch immer (zumindest aber eine eindeutig männliche
Figur) sonderlich lustig, und da dieser Chef nun mal allmächtig
war, machte er Lilith, deren Name im althebräischen so
viel wie "die Nächtliche" bedeutet, zu einer
eben solchen, also einer Nachtgestalt, einer Dämonin,
die ähnlich einer griechischen Lamia oder einem Sukkubus
agiert, den Männern das Blut aussaugt und den Samen stiehlt
und kleine Kinder raubt und tötet, da ihre eigenen Kinder
böse und missgestaltet sind. Sie ist verflucht, bis zum
jüngsten Tag umgehen zu müssen und kann nicht sterben.
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"Lilith"
von H.R. Giger
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Seither steht
Lilith quasi als Symbol für das Abseitige, das böse, zerstörerische
Element der Weiblichkeit und ist Wasser auf die Mühlen derer,
die sich gern auf "göttlichen Willen" berufen um
einmal mehr das Patriarchat zu beschwören.
Doch der Mythos
Lilith ist eigentlich noch viel älter, als es uns das alte
Testament (in der christlichen, der sogenannten kanonischen Fassung
gibt es keine Lilith, Ihr braucht also gar nicht erst in der Familienbibel
nachzuschauen) weismachen will, denn obschon das Judentum die wahrscheinlich
älteste der noch heute praktizierten Religionen der Welt ist,
ist die Menschheitsgeschichte als solche doch noch ein wenig älter,
und einige tausend Jahre vor der jüdischen Kultur gab es bereits
die mesopotamischen und sumerischen Hochkulturen, die frühesten
bekannten der Menschheitsgeschichte. Vermutlich wurde die jüdisch
(christliche) Dämonin Lilith der sumerischen Sturmgöttin
Lilitu nachempfunden (von der sich, wie sich leicht erraten lässt,
auch der Name ableitete, der aber wohl eigentlich mesopotamischen
Ursprungs zu sein scheint und wiederum vom dortigen Namen Lilake
übernommen wurde), denn man muss sich vorstellen, wenn man
versucht ist, einer anderen Kultur den Stempel der eigenen aufzudrängen,
dann muss man ja auch gelegentliche Eingeständnisse an den
Glauben der / des zu Missionierenden machen, denn sonst wird man
ihn nicht überzeugen. Beispiele hierfür gibt es genug,
siehe Weihnachten, den gregorianischen Kalender und so weiter, ich
gehe aber nun nicht weiter hierauf ein, denn das würde bei
weitem den Rahmen dieses kleinen Berichtes sprengen.
Lilitu war in
der sumerischen Kultur eine Art Personifizierung eines Wirbelwindes,
eines Wüstensturms, der seine Opfer "austrocknete",
weswegen sich später Angstvorstellungen vor der (aus männlicher
Sicht) nicht einzuschätzenden weiblichen Sexualität einschlichen,
die den Mann, den potenten Zeuger, halt "austrocknete",
"aussaugte". Der Schritt zu einer gierigen weiblichen
Monstrosität, einer Vampirin, wenn man so will, war schnell
gemacht und wurde von den späteren Kulturen übernommen.
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Die vermeintlich
älteste Darstellung der Lilith / Lilitu ist ein sumerisches
Teracottarelief, welches nach seinem Besitzer Sydney Bumey
als "Bumey Relief" bekannt ist und auf ungefähr
2000 vor Christus datiert wird. Es zeigt Lilith als verführerische
Frau mit Vogelkrallen, welche auf zwei Löwen stützen,
und Flügeln. Rechts und links neben den Löwen sind
zwei Eulen dargestellt, das Symboltier Liliths, welches sowohl
einerseits seit altgriechischen Tagen die Weisheit verkörpert,
andererseits, da es ein Nachtwesen ist, als Todesbote gilt.
In den Händen hält die mutmaßliche Lilith
jeweils einen Gegenstand, der augenscheinlich einem Ankh ähnelt,
also wohl die Schlüssel des Lebens symbolisieren soll.
Natürlich ist nirgendwo beurkundet, das es sich bei der
auf dem Relief dargestellten Gestalt tatsächlich um genannte
Wesenheit handelt, doch aufgrund der Symbolik lässt es
sich vermuten.
Die Personifizierung
des bösen Weibs hört durchaus nicht bei der biblischen
Lilith auf. Auch beispielsweise die deutsche Volkssage von
der Loreley haut in eine ähnliche Kerbe und hat letztlich
den Ursprung in der Lilith Mythologie. Oder gar die böse
Hexe aus den Grimmschen Märchen. In nahezu jeder alten
Kultur gibt es eine Lilith, oder zumindest eine ihr ähnliche
Gestalt, die fast immer bereits in der Schöpfungsgeschichte
der jeweiligen Kultur auftritt.
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Lilith ist der
Archetypus der Femme Fatale. Im indischen Hinduismus ist sie die
Göttin Kali, doch auch beispielsweise die Göttinnen Persephone
oder Hekate kommen in ihren jeweiligen Mythologien ganz ähnliche
Rollen zu, oder Judith, oder Salome, die Circe, die Medusa, die
Sphinx! Man kann also durchaus behaupten, dass sich alle Kulturen,
die in welcher Form auch immer patriarchalisch ausgerichtet sind
und einen Gottvater haben (von Adonai bis Zeus sind das also beinahe
bis auf wenige Ausnahmen alle bekannten Religionen), sich quasi
als bösen weiblichen Gegenpol zum "rechtschaffenen",
"gottesfürchtigen" Mann und Erzeuger der Kinder eine
Alibi-Lilith halten. Die Emanzipation ist halt böse, gell?
Zu einer regelrechten Renaissance des Lilith-Kultes kam es im Fin
de Siécle des 19. Jahrhundert, das ja im Zeichen allerlei
magischer Zirkel, okkulter Logen, theosophischer Gruppen und viktorianischem
Totenkult einerseits und romantischer Literatur andererseits stand.
Die Femme Fatale wurde zu einem Leitmotiv der Kunst dieser Epoche,
sowohl der bildenden wie auch der Literatur (Carmilla von Joseph
Sheridan LeFanu, La
belle Dame sans Merci von John Keats um nur zwei Beispiele zu
nennen). Die "bessere Gesellschaft" vertrieb sich ja seinerzeit
äußerst gern die Langeweile in besagten Gruppen und Logen,
in denen man sich unter dem Vorwand der Bewusstseinserweiterung
allerlei Ausschweifungen hingab (den Trend gibt es ja durchaus immer
noch.) Lilith, die ja wie wir bereits gelernt haben der Archetyp
der bösen verführerischen Frau ist, passte da natürlich
wunderbar ins Schema und musste abermals als Leitbild für allerlei
Schabernack herhalten.
In den Siebziger
Jahren des 20. Jahrhunderts wurde Lilith schließlich von der
Frauenbewegung wiederentdeckt und zu einer Identifikationsfigur
erklärt, die sich dem phallischen Stolz der Männlichkeit
entgegenstellt und sich dem Willen des Adam nicht beugt, was zwar
stimmt, aber wieder nur aus einer ziemlich einseitigen Sicht der
Dinge einen neuen Mythos verklärt.
Im Vampirrollenspiel
"Vampire - The Masquerade" ist Lilith schließlich
wieder die vampirische Urmutter, die Kain mit ihrem Blut zum ersten
aller Vampire macht, was zugegebenermaßen eine wirklich originelle
Variante ist.
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