Algernon
Blackwood gehörte gemeinsam mit solch illustren Gestalten
wie Gustav Meyrink, Karl Heinz Strobl, Leonhard Stein oder auch
H.P. Lovecraft (um nur einige bekannte
Namen zu nennen) zu den großen Erneuerern der phantastischen
Literatur, die sich anschickten, das Genre Anfang des 20. Jahrhunderts
vom Apel / Laun'schen (nichts für ungut!!) Staub der Romantik
zu befreien, denn schließlich ergaben sich aus den rasant
voran schreitenden wissenschaftlichen Erkenntnissen und Errungenschaften
des neuen Jahrhunderts ganz neue Dimensionen des Schreckens,
wenngleich auch in mancherlei Hinsicht wieder eine Rückbesinnung
auf Natur oder uralte Mystik stattfand, doch dies geschah mit
völlig anderen Mitteln und aus vollkommen anderen Gründen
als noch im Jahrhundert zuvor. Wie auch immer, mag Blackwood
auch ein innovativer Kopf gewesen sein, so kann man seine Geschichte
doch nicht auf seine schriftstellerischen Leistungen reduzieren,
denn dafür verlief das Leben des kreativen Querkopfs viel
zu abenteuerlich. Riskieren wir einen genaueren Blick.
Algernon
Henry Blackwood tat seinen ersten Atemzug am 14. März
1869 zu Shooter's Hill in der englischen Grafschaft Kent,
heute zu London gehörend. Er wurde in ein sehr wohlhabendes
Elternhaus geboren. Sein Vater war Sir Stevenson Blackwood,
seine Mutter Sydney war die Herzogin von Manchester. Aber
die Blackwoods waren auch strenggläubige, beinahe fanatische
Calvinisten. Algernon empfand seine Kindheit als eher freudlos,
das Verhältnis zu den Eltern beschrieb er als gefühlskalt.
Die christliche Religion blieb ihm aufgrund der unspaßigen
elterlichen Lebensweise fremd und suspekt. So war er heilfroh,
als er seine schulische Erziehung abgeschlossen hatte und
endlich das Elternhaus verlassen konnte. Im Jahre 1885 fasste
er den Entschluss, Psychiater zu werden und nahm ein Studium
in Österreich auf. Im Folgejahr wechselte er an das Wellington
College in England, wo er sein Studium 1887 als "Bachelor
of Medicine" abschloss. Er siedelte in die Schweiz über,
um kurze Zeit später nach Kanada zu gehen und dann wieder
zurück ins Vereinigte Königreich zu kommen. 1890
schrieb er sich an der Universität im schottischen Edinburgh
ein, doch noch im gleichen Jahr zog es ihn erneut nach Kanada.
Dort versuchte er sich in allerlei zum Teil recht abenteuerlichen
Tätigkeiten, unter anderem als Farmer, Hotelier oder
gar als Goldsucher. Doch all dem ging kein großer Erfolg
nach. 1893 trieben ihn finanzielle Engpässe nach New
York, dort betätigte er sich als Journalist. Im Jahre
1899 zog es ihn in die englische Heimat zurück, wo er
kurzzeitig sogar ins Molkereigeschäft (!) einstieg. Zu
jener Zeit aber begann er auch, sich schriftstellerisch zu
betätigen. Zwischen 1908 und 1914 lebte er in der Schweiz.
Als der erste Weltkrieg losbrach, soll Blackwood sogar für
den britischen Geheimdienst tätig gewesen sein, doch
es ist nicht verbürgt, ob dies den Tatsachen entspricht
oder nur von ihm oder seinen Bewunderern in Umlauf gebracht
worden ist, um der Legendenbildung Vorschub zu leisten.
Unbestritten
ist aber, dass Blackwood bereits während seiner Zeit
in Österreich mit indischer Philosophie in Verbindung
kam. Bald begann er sich auch für die Theosophischen
Lehren der Helena Petrowna Blavatsky
zu interessieren und trat schließlich 1890 der Theosophischen
Gesellschaft bei. 1891 war er sogar neben dem Ehepaar Stowe
und Albert Smythe an der Gründung der ersten Theosophischen
Loge Kanadas beteiligt. Im Laufe der Zeit orientierte er sich
aber immer stärker von den Theosophischen Ansätzen
fort, sein Interesse am Okkultismus in seinen vielfältigen
Formen gerade aus der Sicht der Moderne nahm gleichermaßen
zu. So trat er dann im Jahre 1900 als logische Konsequenz
dem berühmt berüchtigten "Golden Dawn"
Orden bei und hatte hier Kontakt zu bekannten mystischen Zeitgenossen
wie Gurdjeff und Uspenski. Blackwood berichtete mehrfach davon,
selber Zeuge paranormaler Erlebnisse gewesen zu sein, die
ihn auch zu verschiedenen Geschichten inspiriert hätten.
Zu Algernons zweitem Steckenpferd geriet die neue Wissenschaft
der Psychoanalyse, Freud und seine Theorien faszinierten Blackwood
ungemein. Zeit seines Lebens war sein kreatives Wirken von
der Interaktion der beiden Pole durchdrungen, seinem außerordentlichen
Interesse am Okkulten, an alten Mythen und Legenden einerseits,
und den Blick darauf aus der modernen, analytischen und psychologischen
Sicht des 20. Jahrhunderts andererseits.
Blackwood
debütierte 1906 als Autor mit der Anthologie "The
Empty House and Other Ghost Stories", die ihn mit einem
Schlag in die erste Liga der Autoren Phantastischer Schriften
katapultierte, wenngleich er auch von seiner Arbeit als Schriftsteller
allein nicht leben konnte. Dennoch gelang es ihm bis 1949
weit über 200 Kurzgeschichten und 14 Romane zu veröffentlichen,
dazu zahlreiche Hörspiele und einige Schauspiele, Gedichte,
sogar einige bös humorige Sketche stammten aus seiner
Feder. In den letzten Jahren seines Lebens erlangte Blackwood
zusätzliche Berühmtheit als Interpret unheimlicher
Lesungen und als Radiomoderator einer eigenen BBC Sendung,
für die seine Hörer ihm den Spitznamen "Gespenstermann"
verpassten. In seinen Kurzgeschichten Sammlungen finden sich
einige der bedeutendsten vampirischen Erzählungen des
frühen 20. Jahrhunderts, beispielsweise das wegweisende
"The Transfer" aus "Best Ghost Stories"
(1911) oder "Descent into Egypt" aus der Sammlung
"Incredible Adventures" von 1914. Seine wohl bekannteste
und gemeinhin am meisten geschätzte Erzählung aber
dürfte "The Willows" aus "The Empty House
and Other Ghost Stories" von 1906 sein, die sein Kollege
H.P. Lovecraft, der Blackwoods Werk stets eine große
Inspiration für seine eigenen Arbeiten nannte, ausdrücklich
als beste unheimliche Geschichte lobte, die jemals in englischer
Sprache verfasst worden sei. Weiterhin zählt Algernon
Blackwoods Zyklus um den "psychischen" Detektiv
John Silence zu seinen bekanntesten Werken. Hierin nahm er
das Motiv des später immens erfolgreichen Subgenres "Gruselkrimi"
vorweg.
1949,
zwei Jahre vor seinem Tod, wurde Algernon Blackwood für
außergewöhnliche Dienste um die britische Kultur
in den Adelsstand erhoben. 1951, verstarb er friedlich im
Alter von 82 Jahren in London. Sein Ruf als einer der Großmeister
der Phantastik und des Horrors hat bis heute unbestreitbaren
Bestand.
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