Schrei
in der Stille (OT: The Reflecting
Skin)
GB, 1989, Farbe, 91min |
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Regie:
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Philip
Ridley |
Produzenten:
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Dominic
Anciano/Ray Burdis |
Drehbuch: |
Philip
Ridley |
Musik: |
Nick
Bicat |
Kamera: |
Dick
Pope |
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Viggo
Mortensen |
Cameron
Dove |
Lindsay
Duncan |
Dolphin
Blue |
Jeremy
Cooper |
Seth
Dove |
Sheila
Moore |
Ruth
Dove |
Duncan
Fraser |
Luke
Dove |
David
Longworth |
Joshua |
Robert
Koons |
Sheriff
Ticker |
Amerika,
Idaho, irgendwann Anfang der fünfziger Jahre. Zwischen riesigen
Kornfeldern befindet sich ein namenloses vergessenes Kaff. Hier
lebt der achtjährige Seth zusammen mit seiner hysterischen
Mutter, die nur Seths älteren Bruder Cameron zu lieben scheint,
der aber gerade seine Militärzeit auf "den hübschen
Inseln" im Pazifik absolviert, und seinem schwachen wortkargen
Vater, der eine kleine Tankstelle betreibt und ansonsten den ganzen
Tag triviale Groschenhefte über Vampire liest.
Da
Seth von seinen Eltern weitestgehend sich selbst überlassen
wird, lebt der Junge, der eine blühende kindliche Fantasie
hat, hauptsächlich in seiner eigenen Welt. Dort existieren
Vampire, die Seth aus den Romanen und Erzählungen des Vaters
kennt, und ein Exemplar dieser Gattung muss zweifellos die englische
Witwe Dolphin Blue sein, die seit einiger Zeit in der Nachbarschaft
lebt.
Als
Seth und seine beiden Freunde der Frau einen üblen Streich
spielen, zwingt seine Mutter ihn dazu, sich bei Dolphin zu entschuldigen.
Die einsame deprimierte Frau, die über die Gesellschaft des
Kindes erfreut ist weil es eine Abwechslung ihres tristen Daseins
bedeutet, erzählt Seth lauter Dinge, die der verwirrte Junge
nur in seinem Glauben bestärken, Dolphin sei ein Vampir. Sie
scheint ihrem Mann (der sich erhängte nachdem sie nur zehn
Tage verheiratet waren) das Leben genommen zu haben, das tun Vampire
nämlich! Seine "Überreste" wie ein paar Haare
und einige Tropfen seines Schweißes in einem Fläschchen
bewahrt sie in einer Zigarrenkiste auf, ein weiterer Beweis für
Seth. Angsterfüllt flieht das Kind aus Dolphins Haus.
Plötzlich
scheint der Tod in den Kornfeldern umzugehen: die beiden gleichaltrigen
Freunde Seth' verschwinden und werden kurz darauf tot aufgefunden,
die Leiche des jungen Eben wird im Trinkwasserbrunnen von Seth Familie
gefunden. Für die Behörden ist der Fall damit klar, denn
Seth Vater wurde vor Jahren einmal vom Bezirkssheriff dabei erwischt,
wie er einen Heranwachsenden küsste. Vom Küssen bis zum
Töten ist es nur ein kurzer Schritt, so meint er.
Doch
Seth weiß es besser. Er hat ihn gesehen, den schwarzen Cadillac,
in dem die Todesengel sitzen, die sich die beiden Kinder geholt
haben. Doch der verzweifelte Tankwart nimmt sich das Leben, indem
er sich vor den Augen seines fassungslos entsetzten Kindes mit Benzin
übergießt und anzündet. Mit der Schande als perverser
Kindermörder zu gelten will er nicht mehr leben.
Nun
kehrt Cameron vom Militär zurück. Aus seinen Erzählungen
lässt sich schließen, dass er einer der bedauernswerten
GIs war, die in jenen Jahren kaum geschützt an den Atombombentests
im Pazifik teilnahmen, von der Strahlungsgefahr und den Folgen aber
noch nicht die geringste Ahnung hatten - wie Cameron, der in blumigen
Bildern die Atomexplosionen und den anschließenden Fallout
schildert. Seth, der seinen großen Bruder vergöttert,
saugt jedes von Camerons Worten wie eine Offenbarung in sich auf.
Doch
dann folgt der Schock: Cameron verliebt sich in Dolphin Blue! Seth
beobachtet, wie die Frau am Hals des Bruders saugt, am nächsten
Tag findet er übernatürlich viele Haare in Camerons Kamm,
auch fällt ihm auf, dass Cameron ungewöhnlich stark an
Gewicht verloren hat. Keine Frage, Dolphin Blue hat ihr vampirisches
Werk erneut begonnen. Seth muss Dolphin aufhalten! Doch wie kann
ein Achtjähriger es mit einem Vampir aufnehmen?
Da
erscheint erneut die schwarze Todeslimousine auf der staubigen Straße
zwischen den endlosen Kornfeldern. Seth beobachtet, wie Dolphin
lächelnd einsteigt.
An diesem Tag endet Seth Kindheit...
Uff,
dieser Film ist ein ganz schöner Punch in die Magengrube, um
jetzt mal ähnlich (und doch ganz anders) metaphorisch den cineastisch
vorgegebenen Faden schreibenderweise aufzugreifen.
Wie
geht man eine Rezension eines solchen Werkes nur an? Soll man von
Bilderfluten schreiben? Von wogenden gelben Kornfeldern unter strahlendem
Sonnenhimmel? Von einer Idylle, die dennoch unglaublich beklemmend
wirkt? Sollte man einmal mehr den abgelutschten Begriff von der
Ästhetik des Schreckens bemühen? Man möchte all diese
Klischees eigentlich umgehen, dennoch treffen es diese ungemein
gut. Und wie!
Regisseur
Phillip Ridley kommt eigentlich von der Malerei, und genau das sieht
man dem"Schrei in der Stille" wirklich genau an. Ridley
hat einen unglaublich künstlerischen Blick. Um seine Visionen
zu realisieren benötigte er aber auch einen kongenialen Partner
hinter der Kamera, den fand er in Dick Pope. Und Ridley und Pope
bildeten die Optik, die Visualisierung betreffend, ein echtes Dreamteam!
Selten sah man in einem Film so satte, so reiche Bilder und Farben
wie hier. Der Himmel ist himmelblau wie auf einem Kinderbild, die
Felder von einem unglaublichen gelb, der schwarze Cadillac ist schwarz
wie der Tod und schimmert doch so verführerisch! Dolphin Blue
hingegen scheint farblos zu sein, ihre Haut wirkt beinahe durchscheinend.
Man hat teilweise ob der Bilder beinahe den Eindruck, ein Gemälde
sei zum Leben erwacht. Zu einem unheimlichen aber, denn hier gehen
wahrlich allerlei Monstrositäten um.
Doch
tun sie das tatsächlich?
Ja, denn wir sehen den Film komplett aus der Sicht des nicht ganz
Neunjährigen Seth, eines vernachlässigten Jungen, der
eigene Lösungen für seine Fragen finden muss. Überall
lauern Tod und Verderben. Die Rückkehr des geliebten großen
Bruders bringt kurzzeitig Hoffnung in das Leben des Jungen, der
seinen Vater und seine Freunde verlor, doch erneut droht da der
Verlust als Cameron sich in die "Vampirin" verliebt und
berichtet, er wolle mit ihr fortgehen und glücklich werden.
Das muss unter allen Umständen verhindert werden, der Bruder,
der wie ja nicht schwer zu erraten ist ohnehin bald aus dem Leben
gerissen wird (da war ja noch die Sache mit der Atombombe), muss
gerettet werden. So beschließt Seth, Dolphin den Todesengeln
im schwarzen Cadillac zu opfern. Sein Plan scheint aufzugehen, doch
als er erneut mit dem wahrhaftigen Tod und der Trauer in Berührung
kommt, wird es zu viel für das Kind. Er schreit sich vor einer
tiefrot untergehenden Sonne die (böse?) Seele aus dem Leib,
denn diesmal, so glaubt er, ist er für diesen Tod verantwortlich.
Zugleich ist es der Schrei eines Neugeborenen, denn der letzte Rest
einer "unbeschwerten" Kindheit, die Seth ohnehin nie erfahren
hat, ist nun dahin. Das Ende der Unschuld, wenn man so will.
Ridleys
Film ist eine bizarre Reflektion des menschlichen Seins, er zeigt
seine negative Seite. Die dunkle Hälfte von Kindheit, Sexualität,
Freiheit, dem Leben, ja der Natur selber. Eine Welt, in der Engel
abgetriebene Föten sind, in der einsame Menschen Monster, Vampire
sind und die sogenannte Krone der Schöpfung selbstzerstörerische
Spielchen mit dem Atom treibt.
Ihr
findet, dass ist ein bisschen viel? Genau das ist das einzige, was
man Ridley vorwerfen kann. Sein Film ist etwas überfrachtet,
er hat von fast allem ein klein wenig viel in seine düstere
Revue menschlicher Abgründe geworfen. Ausnahmslos alle auftretenden
Personen (in gewisser Hinsicht auch Seth) haben die Pfanne ganz
schön heiß, wobei die Erwachsenen klar schlechter wegkommen,
die Kinder können noch nicht wirklich was dazu. Kindermord,
erwachende Sexualität, Homosexualität, Wahnsinn, Suff,
die Atombombe, uumpffff, das hätte manch anderem Filmmacher
für mindestens zwei Filme gereicht. Na ja, Ridley wollte halt
mit einem Paukenschlag debütieren, das ist ihm auf jeden Fall
gelungen.
Oft
wird "Reflecting Skin" mit den Arbeiten David Lynchs verglichen,
das trifft es aber nicht wirklich. Zwar beschäftigt sich auch
David Lynch gern mit den dunklen Seiten unserer Existenz, dies aber
von einer völlig anderen Herangehensweise. Ich vermute eher,
die Lynchvergleiche rühren von einer weitgehenden Unkenntnis
avantgardistischer Filme, weshalb bei allem, was irgendwie "abgefahren",
kritisch, düster ist und nicht ins rechte Hollywoodmainstreamschema
passt, der Salonavantgardist Lynch als Referenz bemüht wird.
Ich
musste des öfteren eher an Nick Caves grandios verstörenden
Roman "And the Ass saw the Angel" denken, den ich an dieser
Stelle ebenfalls unbedingt jedem empfehlen möchte, der eine
Antenne für Abgründiges wie das hier besprochene hat.
Den
Film um den es hier geht natürlich auch, das hat ja wohl jetzt
jeder verstanden, oder?
Wie, aber das ist doch gar kein Vampirfilm sagt ihr?
Tja, dann bitte alles noch mal lesen.
War nicht die Rede davon, die Geschichte aus der Sicht eines Achtjährigen
zu erleben? Da soll es keine Monster geben?
Und ob es dort Vampire gibt...
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