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Der kleine Vampir   (OT: Bübchen)

D, 1968 , Farbe, 86 min

Regie: Roland Klick
Drehbuch:
Musik: Roland Klick
Kamera: Robert van Ackeren
Produktion Rob Houwer
Sascha Urchs Achim
Sieghardt Rupp Vater
Edith Volkmann Mutter
Renate Roland Monika Behm
Jürgen Jung Otto Borowski
Hubert Suschka Erich Behm
Elisabeth Ackermann Lisa Behm

Achims Eltern fahren zu einem Richtfest. Monika, die 17jährige Nachbarstochter soll auf die Kinder aufpassen. Doch als Monika von ihrem Freund zu einer Spazierfahrt eingeladen wird, läßt sie den neunjährigen Achim und seine einjährige Schwester alein. Da geschieht es. Achim tötet sein Schwesterchen, weil er von seiner Umgebung nicht für voll genommen wird.

'Er beseitigt die Leiche. Abends kommen die Eltern angetrunken nach Hause zurück. Die Suche nach dem Kind beginnt und damit steigert sich das Grauen.

Eine deutsche Vorstadt in den späten 1960'er Jahren. Von Love, Peace und Happiness, von freiem Gedankengut und dem Aufbruch in ein neues Zeitalter ist weit und breit keine Spur auszumachen, stattdessen herrscht Mief, Ödnis und Tristesse. In diesem Umfeld wächst der achtjährige Achim auf, zusammen mit einer kleinen einjährigen Schwester, mit der er nichts anfangen kann, einer herrischen Mutter, die ihn nicht verstehen kann und einem Vater, der den Jungen zwar liebt, aber seine gesamte Situation offenkundig hasst. Die einzige Flucht vor der Ausweglosigkeit der kalten Wirklichkeit erfolgt durch Alkohol in rauen Mengen, so ziehen Achims Eltern eines Tages wieder los auf irgendein Besäufnis, als Babysitterin wird kurzerhand die 17jährige Nachbarstochter Monika in die Pflicht genommen. Doch die vergnügt sich lieber bei einem Ausflug mit ihrem Freund und lässt Achim mit seiner Schwester allein. Wieder kümmert sich niemand um ihn, stattdessen wird ihm eine Verantwortung aufgebürdet, obschon er doch viel lieber mit den Nachbarskindern spielen möchte. So kommt der Junge - vielleicht aus Langeweile, vielleicht wider besseren Wissens, vielleicht auch aus purer Berechnung, das Motiv bleibt vollkommen offen - auf die Idee, der Schwester eine Plastiktüte über den Kopf zu stülpen, das Kleinkind stirbt! Mit stoischer Ruhe versteckt Achim die Leiche seiner Schwester auf einem nahe gelegenen Schrottplatz, der ihm häufig als Spielplatz dient.

Als Achims Eltern in Begleitung der Nachbarn Stunden später volltrunken heimkehren, können ihnen weder Achim noch die inzwischen wieder eingetroffene Monika den Verbleib des kleinen Mädchens erklären. Achim beharrt darauf, er war mit seinen Freunden spielen und habe die Kleine in der Obhut Monikas zurück gelassen, diese verschweigt natürlich ihren amourösen Ausflug und will sich nur für einige Minuten im Bad die Haare gewaschen haben, in der Zeit könne doch ein Baby nicht einfach verloren gehen. Als Achim erzählt, er habe einen Mann am Fenster gesehen, wird die Polizei eingeschaltet und die Rede von einem Kinderschänder macht rasch die Runde. Schließlich wird Monikas Freund als vermeintlicher Täter in Untersuchungshaft genommen, sein Auto wurde in der Nähe des Hauses gesichtet. Die Nerven liegen blank, doch Achims Familie, im Verdrängen augenscheinlich bestens geschult, bemüht sich, trotz aller Abgründe die Form zu wahren. Als schließlich die Risse sowohl in den Versionen Monikas wie Achims, die sich gegenseitig der Lüge bezichtigen, vom Verlauf des Nachmittags, an dem die kleine Katrina verschwand, offenbar werden, entdeckt Achims Vater die Leiche des Mädchens auf dem Schrottplatz…


Nein, mit einem Vampirfilm im klassischen Sinne haben wir es hier absolut nicht zu tun, nicht mal im Ansatz, und obwohl der Film eigentlich ursprünglich nur wegen des kreuzdoofen Namens "Der kleine Vampir" (was absolut gar nichts mit den berühmten Erzählungen und Figuren der Autorin Angela Sommer-Bodenburg zu tun hat), den man ihm bei seiner zweiten Kinoaufführung 1969 verpasste und von dem man sich wohl einen werbewirksamen Effekt an den Kinokassen erhofft haben wird (womit aber nur der Filmverleih zu tun hatte, nicht aber Autor / Regisseur Roland Klick), hier aufgenommen hatten, wurde beim Betrachten des Films doch noch ein nicht unerheblicher vampirischer Aspekt gewahr: Das Dasein in der kleinbürgerlichen Vorstadthölle nämlich, das seinen Bewohnern sämtliche Lebensenergie entzieht und sie zu willenlosen Zombies verkommen lässt, die offensichtlich mit ihrem Leben nichts besseres anfangen zu wissen, als die äußerliche Vorstellung einer vermeintlich heilen Welt aufrecht zu erhalten, die doch längst tiefe Furchen an ihrer Fassade und bedrohliche Abgründe und Untiefen im Innern aufweist, und ihre Protagonisten zudem scheinbar langsam aber sicher auf das Unabdingbare zusteuern lässt, das eigene Dahinsiechen, das Warten auf Gevatter Tod.

Die Kinder allerdings, die sind noch anders. Die verstehen diese trost- und freudlose Welt noch nicht, doch niemand bringt ihnen bei, wie man in einer solchen Welt bestehen kann. Wie soll man als junger Mensch in einem derart emotionslosen Umfeld ein Sozialverhalten lernen? Ansatzweise blitzt die Liebe des Vaters zu Achim auf, als der ihm in einer kargen Kneipe sein erstes Bier spendiert (was ja rein pädagogisch betrachtet auch eher von fragwürdiger Natur ist) und später mit einigen wenigen Gesten versucht, seinen Sohn zum Lachen zu bringen, ihm jedoch seine wahren Gefühle zu offenbaren vermag er nicht.

All dies fängt der vielfach missverstandene Filmemacher Klick in beinahe genial sparsamen Bildern ein, die dennoch nahezu den Detailreichtum eines Dokumentarfilms aufweisen. Und genau das macht diesen Film so außergewöhnlich gut. Man sieht den Ereignissen staunend und entsetzt zu, möchte der Familie zurufen, Verdammt, hier geht es um euer Kind, wo zur Hölle sind eure Gefühle? Man möchte Achim schütteln, möchte sagen, Junge, das ist deine Schwester, doch man kann seine Handlungsweise nach dem Tod der kleinen Katrin auch nachvollziehen, ja viel mehr noch, der Junge wird einem im Laufe des Films sympathisch, vertraut irgendwie, was ganz bestimmt auch an der unglaublich großartigen schauspielerischen Leistung des jungen Sascha Urchs liegt, dessen Filmrolle in "Bübchen" scheinbar seine einzige blieb (zumindest ließ sich im www nichts anderes ermitteln, aber falls Du, werter Leser, da mehr weißt, dann lass uns das gern wissen). Doch Klick weigerte sich, in irgendeiner Form Stellung zu beziehen und wedelt nicht mit dem moralischen Zeigefinger, was Bübchen seinerzeit auf gnadenlose Ablehnung stoßen ließ. War die Zeit, derer ein Dokument der Film ja auch ist, vielleicht noch nicht reif für einen Streifen wie diesen oder war man einfach nur sauer, weil da jemand die Spielregeln des so genannten Autorenfilms nicht einhalten wollte? Denn die Abgehobenheit, die "Publikumsfeindlichkeit" (Originalzitat Klicks) des deutschen Films, da wollte er einfach nicht mitspielen, denn wie soll eine Botschaft ihr Publikum erreichen können, wenn sich ihr Medium eben diesem verweigert? Ferner warf er der Filmförderung und ähnlich gearteten Institutionen Konsenstümelei vor. Zitat: "…Ein Kinofilm sollte immer ein Schritt in ein unbekanntes Land sein. Aber diese Gremien [Gemeint sind Film- und Projektförderung] sind immer nur auf den Konsens aus. Fellini oder Romero hätte es bei uns nie gegeben. Die Filmförderung hätte kein einziges ihrer Projekte gefördert. Da, wo Förderung eingreift, wird sie zur Zensur, und zwar zur Zensur des Mittelmaßes." Und genau deshalb hatte Herr Klick irgendwann auch mal die Schnauze einfach nur voll und kehrte diesem Land für immer den Rücken. Seit 1992 lebt Klick in Irland, arbeitete seither aber mehrfach unter Pseudonymen für das Fernsehen und versucht den Verlockungen Hollywoods zu widerstehen, was ihm aber Dank zunehmend schwindendem Interesse gar nicht mal so schwer fällt, wie man so liest.

Roland Klick ist ein großartiger Filmemacher, der spätestens mit seinem legendären "Deadlock" auch international Filmgeschichte geschrieben hat und Filmschaffende der unterschiedlichsten Couleur von Jorodowsky bis Tarantino beeinflussen konnte. Und "Bübchen", sein eigentliches Spielfilmdebüt, ist ein grandioser, Furcht einflößender Film über die Hölle der Kleinbürgerlichkeit, die gewiss in diesem coolen, hippen, jungen, internationalen und tollen neuen Deutschland noch immer irgendwo schlummert. Nein, sie ist noch nicht tot…



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