Der
kleine Vampir (OT: Bübchen)
Achims
Eltern fahren zu einem Richtfest. Monika, die 17jährige Nachbarstochter
soll auf die Kinder aufpassen. Doch als Monika von ihrem Freund
zu einer Spazierfahrt eingeladen wird, läßt sie den neunjährigen
Achim und seine einjährige Schwester alein. Da geschieht es.
Achim tötet sein Schwesterchen, weil er von seiner Umgebung
nicht für voll genommen wird.
'Er
beseitigt die Leiche. Abends kommen die Eltern angetrunken nach
Hause zurück. Die Suche nach dem Kind beginnt und damit steigert
sich das Grauen.
Eine
deutsche Vorstadt in den späten 1960'er Jahren. Von Love, Peace
und Happiness, von freiem Gedankengut und dem Aufbruch in ein neues
Zeitalter ist weit und breit keine Spur auszumachen, stattdessen
herrscht Mief, Ödnis und Tristesse. In diesem Umfeld wächst
der achtjährige Achim auf, zusammen mit einer kleinen einjährigen
Schwester, mit der er nichts anfangen kann, einer herrischen Mutter,
die ihn nicht verstehen kann und einem Vater, der den Jungen zwar
liebt, aber seine gesamte Situation offenkundig hasst. Die einzige
Flucht vor der Ausweglosigkeit der kalten Wirklichkeit erfolgt durch
Alkohol in rauen Mengen, so ziehen Achims Eltern eines Tages wieder
los auf irgendein Besäufnis, als Babysitterin wird kurzerhand
die 17jährige Nachbarstochter Monika in die Pflicht genommen.
Doch die vergnügt sich lieber bei einem Ausflug mit ihrem Freund
und lässt Achim mit seiner Schwester allein. Wieder kümmert
sich niemand um ihn, stattdessen wird ihm eine Verantwortung aufgebürdet,
obschon er doch viel lieber mit den Nachbarskindern spielen möchte.
So kommt der Junge - vielleicht aus Langeweile, vielleicht wider
besseren Wissens, vielleicht auch aus purer Berechnung, das Motiv
bleibt vollkommen offen - auf die Idee, der Schwester eine Plastiktüte
über den Kopf zu stülpen, das Kleinkind stirbt! Mit stoischer
Ruhe versteckt Achim die Leiche seiner Schwester auf einem nahe
gelegenen Schrottplatz, der ihm häufig als Spielplatz dient.
Als Achims Eltern
in Begleitung der Nachbarn Stunden später volltrunken heimkehren,
können ihnen weder Achim noch die inzwischen wieder eingetroffene
Monika den Verbleib des kleinen Mädchens erklären. Achim
beharrt darauf, er war mit seinen Freunden spielen und habe die
Kleine in der Obhut Monikas zurück gelassen, diese verschweigt
natürlich ihren amourösen Ausflug und will sich nur für
einige Minuten im Bad die Haare gewaschen haben, in der Zeit könne
doch ein Baby nicht einfach verloren gehen. Als Achim erzählt,
er habe einen Mann am Fenster gesehen, wird die Polizei eingeschaltet
und die Rede von einem Kinderschänder macht rasch die Runde.
Schließlich wird Monikas Freund als vermeintlicher Täter
in Untersuchungshaft genommen, sein Auto wurde in der Nähe
des Hauses gesichtet. Die Nerven liegen blank, doch Achims Familie,
im Verdrängen augenscheinlich bestens geschult, bemüht
sich, trotz aller Abgründe die Form zu wahren. Als schließlich
die Risse sowohl in den Versionen Monikas wie Achims, die sich gegenseitig
der Lüge bezichtigen, vom Verlauf des Nachmittags, an dem die
kleine Katrina verschwand, offenbar werden, entdeckt Achims Vater
die Leiche des Mädchens auf dem Schrottplatz
Nein, mit einem
Vampirfilm im klassischen Sinne haben wir es hier absolut nicht
zu tun, nicht mal im Ansatz, und obwohl der Film eigentlich ursprünglich
nur wegen des kreuzdoofen Namens "Der kleine Vampir" (was
absolut gar nichts mit den berühmten Erzählungen und Figuren
der Autorin Angela Sommer-Bodenburg zu tun hat), den man ihm bei
seiner zweiten Kinoaufführung 1969 verpasste und von dem man
sich wohl einen werbewirksamen Effekt an den Kinokassen erhofft
haben wird (womit aber nur der Filmverleih zu tun hatte, nicht aber
Autor / Regisseur Roland Klick), hier aufgenommen hatten, wurde
beim Betrachten des Films doch noch ein nicht unerheblicher vampirischer
Aspekt gewahr: Das Dasein in der kleinbürgerlichen Vorstadthölle
nämlich, das seinen Bewohnern sämtliche Lebensenergie
entzieht und sie zu willenlosen Zombies verkommen lässt, die
offensichtlich mit ihrem Leben nichts besseres anfangen zu wissen,
als die äußerliche Vorstellung einer vermeintlich heilen
Welt aufrecht zu erhalten, die doch längst tiefe Furchen an
ihrer Fassade und bedrohliche Abgründe und Untiefen im Innern
aufweist, und ihre Protagonisten zudem scheinbar langsam aber sicher
auf das Unabdingbare zusteuern lässt, das eigene Dahinsiechen,
das Warten auf Gevatter Tod.
Die Kinder allerdings,
die sind noch anders. Die verstehen diese trost- und freudlose Welt
noch nicht, doch niemand bringt ihnen bei, wie man in einer solchen
Welt bestehen kann. Wie soll man als junger Mensch in einem derart
emotionslosen Umfeld ein Sozialverhalten lernen? Ansatzweise blitzt
die Liebe des Vaters zu Achim auf, als der ihm in einer kargen Kneipe
sein erstes Bier spendiert (was ja rein pädagogisch betrachtet
auch eher von fragwürdiger Natur ist) und später mit einigen
wenigen Gesten versucht, seinen Sohn zum Lachen zu bringen, ihm
jedoch seine wahren Gefühle zu offenbaren vermag er nicht.
All dies fängt
der vielfach missverstandene Filmemacher Klick in beinahe genial
sparsamen Bildern ein, die dennoch nahezu den Detailreichtum eines
Dokumentarfilms aufweisen. Und genau das macht diesen Film so außergewöhnlich
gut. Man sieht den Ereignissen staunend und entsetzt zu, möchte
der Familie zurufen, Verdammt, hier geht es um euer Kind, wo zur
Hölle sind eure Gefühle? Man möchte Achim schütteln,
möchte sagen, Junge, das ist deine Schwester, doch man kann
seine Handlungsweise nach dem Tod der kleinen Katrin auch nachvollziehen,
ja viel mehr noch, der Junge wird einem im Laufe des Films sympathisch,
vertraut irgendwie, was ganz bestimmt auch an der unglaublich großartigen
schauspielerischen Leistung des jungen Sascha Urchs liegt, dessen
Filmrolle in "Bübchen" scheinbar seine einzige blieb
(zumindest ließ sich im www nichts anderes ermitteln, aber
falls Du, werter Leser, da mehr weißt, dann lass uns das gern
wissen). Doch Klick weigerte sich, in irgendeiner Form Stellung
zu beziehen und wedelt nicht mit dem moralischen Zeigefinger, was
Bübchen seinerzeit auf gnadenlose Ablehnung stoßen ließ.
War die Zeit, derer ein Dokument der Film ja auch ist, vielleicht
noch nicht reif für einen Streifen wie diesen oder war man
einfach nur sauer, weil da jemand die Spielregeln des so genannten
Autorenfilms nicht einhalten wollte? Denn die Abgehobenheit, die
"Publikumsfeindlichkeit" (Originalzitat Klicks) des deutschen
Films, da wollte er einfach nicht mitspielen, denn wie soll eine
Botschaft ihr Publikum erreichen können, wenn sich ihr Medium
eben diesem verweigert? Ferner warf er der Filmförderung und
ähnlich gearteten Institutionen Konsenstümelei vor. Zitat:
"
Ein Kinofilm sollte immer ein Schritt in ein unbekanntes
Land sein. Aber diese Gremien [Gemeint sind Film- und Projektförderung]
sind immer nur auf den Konsens aus. Fellini oder Romero hätte
es bei uns nie gegeben. Die Filmförderung hätte kein einziges
ihrer Projekte gefördert. Da, wo Förderung eingreift,
wird sie zur Zensur, und zwar zur Zensur des Mittelmaßes."
Und genau deshalb hatte Herr Klick irgendwann auch mal die Schnauze
einfach nur voll und kehrte diesem Land für immer den Rücken.
Seit 1992 lebt Klick in Irland, arbeitete seither aber mehrfach
unter Pseudonymen für das Fernsehen und versucht den Verlockungen
Hollywoods zu widerstehen, was ihm aber Dank zunehmend schwindendem
Interesse gar nicht mal so schwer fällt, wie man so liest.
Roland Klick
ist ein großartiger Filmemacher, der spätestens mit seinem
legendären "Deadlock" auch international Filmgeschichte
geschrieben hat und Filmschaffende der unterschiedlichsten Couleur
von Jorodowsky bis Tarantino beeinflussen konnte. Und "Bübchen",
sein eigentliches Spielfilmdebüt, ist ein grandioser, Furcht
einflößender Film über die Hölle der Kleinbürgerlichkeit,
die gewiss in diesem coolen, hippen, jungen, internationalen und
tollen neuen Deutschland noch immer irgendwo schlummert. Nein, sie
ist noch nicht tot
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