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John William Polidori

Es war im nassforschen Sommer des Jahres 1816, dem kältesten und niederschlagreichsten überhaupt seit Aufzeichnungen über meteorologische Phänomene existieren, ein Negativrekord, der bis in die heutigen Tage nicht mehr gebrochen wurde. Vielfach spekulierten die Experten über die Ursachen dieser unheimlichen Kältewelle. Man vermutet inzwischen, diese ging auf die Auswirkungen des Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora zurück, der im Jahr zuvor regelrecht zerborsten war und gigantische Mengen an feinstem Staub in die Atmosphäre blies, welcher sich nur sehr langsam wieder absenkte. Die Folge war eine Verminderung der Sonneneinstrahlung, bedingt hierdurch kam es zu einem Abfallen des Golfstromes, was wiederum zu einer Veränderung der globalen Windzirkulationen führte - quasi das Phänomen eines kleinen "nuklearen Winters", freilich ohne freigesetzte Radioaktivität.

In dieser unwirtlichen Atmosphäre des so genannten "Gespenstersommers" - die Epoche der Romantik erlebte gerade ihren Höhepunkt - erblickten die beiden populärsten Schauergestalten der modernen Horrorliteratur das Licht der Welt: die Frankenstein Kreatur und Lord Ruthven, das Urbild des zeitgenössischen Vampirs, der Bram Stoker rund 80 Jahre später als Vorbild für seinen Dracula dienen sollte. Der Schöpfer des Ruthven ist John William Polidori, ein weitgehend unbekannter Geist seiner Zeit, der es nie zu der Popularität seines famosen Intimus, dem schillernden Lord Byron, bringen sollte. Hier ist seine Geschichte:

Polidori wird am 07. September des Jahres 1795 in London als Sohn eines ausgewanderten italienischen Gelehrten und einer wohlhabenden englischen Mutter geboren. Schon früh erweist sich der Junge als hochintelligent und sehr ambitioniert.
Nach seiner Schulzeit besucht er ein katholisches College in Yorkshire und studiert anschließend Medizin an der Universität von Edinburgh, wo er 1815 im Alter von 20 Jahren mit einer Dissertation über Alpträume zum Doktor promoviert.

Er findet eine Anstellung als Leibarzt des berühmten Dichterfürsten Byron, mit dem er 1816 auf Europareise geht. Byron, der mit seinem Versepos "Childe Harolds Pilgerfahrt" 1812 quasi über Nacht zu literarischem Rum und Prominenz gelangt war, hatte sich gerade ins gesellschaftliche Abseits manövriert, weil er sich von seiner Frau Annabella und seiner Tochter Ada getrennt hatte. Dem Hohn und Spott suchte er mit ausgedehnten Reisen zu entgehen.

Im Mai 1816 mietet Byron sich und Polidori in die berühmte "Villa Diodati" am Genfer See ein. Polidori hegte bereits zu der Zeit literarische Ambitionen. In seinem Reisegepäck führte er das Manuskript eines eigenen Dramas mit (welches nie veröffentlicht wurde), zudem hatte John Murray, Byrons Verleger, dem ehrgeizigen Polidori 500 Pfund in Aussicht gestellt für die Veröffentlichung von Polidoris Bericht seiner Reise mit Byron (tatsächlich wurden Polidoris Tagebücher aber erst rund 100 Jahre später veröffentlicht.)

Mitte Juni 1816 kam es dann zu der legendären Zusammenkunft Byrons und Polidoris mit dem philosophisch geprägten Dichter Percy Shelley, dessen Geliebter und späterer Ehefrau Mary Wollstonecraft und ihrer Halbschwester Claire Clairmont. In einer stürmischen Nacht ruft Byron einen literarischen Wettbewerb aus, ein jeder möge eine Spukgeschichte zu Papier bringen. Das Ergebnis ist weltbekannt, Mary Shelley ersinnt ihren Frankenstein, Polidori den "Vampyr", der allerdings auf Motiven Byrons beruht.
Im September 1816 überwerfen sich Byron und Polidori, der stets zwischen Eifersucht, Heldenverehrung und Groll schwankend dem eitlen selbstverliebten Dichter zugetan war. Byron wirft Polidori hinaus.

Drei Jahre später, im April 1819, veröffentlicht Polidori eine überarbeitete Version seines "Vampyrs", in der er dem Schurken ganz klar byronsche Züge verleiht, im New Monthly Magazine - unter Byrons Namen! Dies allerdings ist von Polidori so nicht gewollt gewesen, er erstreitet sich aber schließlich die Urheberrechte der Geschichte. Dennoch wird lange weiterhin angenommen, sie stamme aus der Feder Byrons. Johann Wolfgang von Goethe lobte sie dereinst sogar als Byrons beste Erzählung überhaupt (auch Genies können irren!) Polidori selber hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass das Gerüst seiner Geschichte von Byron stamme und er nur den Rest herausgearbeitet hätte. Dennoch macht fortan der Vampir als solcher einen unglaublichen Siegeszug durch die Künste des 19. Jahrhunderts, der schließlich, wie schon erwähnt, in Stokers Dracula gipfelt.
Polidori selber kann nicht mehr zu neuen Großtaten aufbrechen. Nachdem er sich einige Zeit erfolglos als praktizierender Arzt in Norwich niedergelassen hat, beginnt er erneut ein Studium, diesmal ist es die Jurisprudenz. Doch er bricht nach kurzer Zeit aus nicht bekannten Gründen wieder ab.

Im August des Jahres 1821 stirbt John William Polidori nicht mal 26jährig. Die Ursachen seines Todes sind bis heute unklar geblieben. Spekulationen reichen von Selbstmord (nicht unwahrscheinlich) über den Unfalltod bis hin zu einem Giftmord, hinter dem einige Verschwörungstheoretiker Leute aus dem Byron-Umfeld sehen, was aber vermutlich ins Reich der Legenden verbannt werden darf, denn schließlich verdiente auch Byron, der übrigens nur sieben Jahre später starb, ganz ordentlich an dem neuen Ruhm, den ihm Polidori eingebracht hatte.

Während Lord Byron noch heute als bedeutender romantischer Autor gefeiert wird, hat die Welt John William Polidori allerdings beinahe vergessen. Doch sein Einfluss auf die moderne Literatur bleibt ohne Zweifel für immer unbestritten.

 


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