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George Gordon Noel Lord Byron

Aaah, Byron… was wäre die moderne Vampirliteratur wohl ohne ihn? Nicht das diese vermutlich schillerndste Gestalt der englischen Spätromantik (oft auch als die "Schwarze Romantik" bezeichnet) selber ein großer Verfasser vampirischer Schriften gewesen wäre, tatsächlich liegt von ihm selber sogar nur jenes weltberühmte Fragment der Vampirgeschichte vor, die sein zeitweiser Wegbegleiter und Arzt John Polidori später, als dieser sich längst mit dem Dichterfürsten überworfen hatte, vollenden und unter eigenem Namen veröffentlichen sollte, nämlich "Der Vampir", dessen Titelcharakter, der durchtriebene Untote Lord Ruthven, ganz eindeutig byronsche Züge trägt, wenn auch verzerrt. Heute wissen wir, das der Siegeszug des Vampirs durch das 19.Jahrhundert bis in unsere Gegenwart seine Initialzündung genau in jenem stürmischen, verregneten "Gespenstersommer" des Jahres 1816 in der Villa Diodati am Genfer See fand, in jener Nacht, in der Byron, Hausherr und Gastgeber einer kleinen Gesellschaft bestehend aus ihm, Polidori, dem Dichter und Philosophen Percy Shelley, dessen Lebensgefährtin Mary Wollstonecraft und ihrer Halbschwester Claire Clairmont, die zudem zu jener Zeit Byrons Geliebte war, einen Autorenwettstreit um die unheimlichste Schauergeschichte ausrief.

Die Ereignisse jener Nacht sind ja längst selbst sagenumwobener Legendenstoff, denn nicht nur Lord Ruthven, der Prototyp des eleganten aristokratischen Vampirs, erblickte ja bekanntlich damals die Finsternis der Welt, sondern auch der "moderne Prometeus" Frankenstein und seine aus Leichenteilen zusammengeklaubte Kreatur, die bekanntlich der Feder Mary Wollstonecrafts (der späteren Mrs. Shelley) entsprangen. Das ist zwar eine andere Geschichte, doch auch hier war Lord Byron quasi der Geburtshelfer und somit indirekt verantwortlich für die beiden wohl populärsten Horrormotive unserer Zeit.

Doch auch das brillanteste, exaltierteste und glamouröseste Künstler-Genie fängt mal klein an, so auch unser Protagonist, der am 22. Januar des Jahres 1788 zu London, England, als Sohn der schottischen Adeligen Catherine Gordon Byron und des völlig verschuldeten Lebemannes John Byron (er soll verschiedenen Quellen zufolge den Spitznamen "Mad Jack" getragen haben) von der Welt willkommen geheißen wurde. George Gordon Noels Großvater, der übrigens ebenfalls den Vornamen John und darüber hinaus auch den Titel des 5. Lord Byron trug, war ein bedeutender Reisender und Südseeforscher und besaß ein beträchtliches Vermögen, mit dem er allerdings keinesfalls für das Lotterleben seines Sprösslings gerade zu stehen gedachte, weswegen der dann auch bald nach Georges Geburt unter nie geklärten Umständen (Mord durch Gläubiger? Selbstmord?) im Haus seiner Schwester in Frankreich verstarb.

George Byron verlebte den Großteil seiner Kindheit im schottischen Aberdeen, wo ihn die calvinistische Weltanschauung seines Kindermädchens May Grey sehr geprägt haben soll. Ferner machte ihm eine Behinderung, eine Deformierung des rechten Fußes, zu schaffen, an der sich in seinen Kindheitsjahren allerhand Heiler und Ärzte versuchten, und man kann sich leicht vorstellen, wenn man sich die "Kunst" der Quacksalber jener Zeit vor Augen hält, dass dies wohl nicht sehr angenehm war. Zum Ausgleich verschlang der junge Byron jedes Buch, dessen er nur habhaft werden konnte. Als George 10 Jahre alt war starb Opa John und vererbte sowohl den Titel wie das Vermögen, welches aber bis zum Tage seiner Großjährigkeit treuhänderisch verwaltet werden sollte, an den Stammhalter. Mutter Catherine erwirkte Unterhaltszahlungen und so hatten die Byrons zum ersten mal etwas Geld, dem kleinen Lord konnte endlich eine entsprechende Schulbildung zuteil werden.

Im Jahre 1805 verliebte sich Byron, inzwischen ein schwärmerischer, romantischer 17jähriger, in seine ältere Cousine Mary Chaworth, die aber dessen Werben abwies und stattdessen einen anderen Mann heiratete. Für den überschwänglichen Byron Grund genug, sich mit vollem Eifer ins Leben zu stürzen. Er schrieb sich an der Universität von Cambridge ein, mied aber die meisten Vorlesungen zugunsten eines reichlich ausschweifenden und kostspieligen Lebenswandels. Zudem hatte er mit dem Verfassen von Versen begonnen. Bereits 1806 erschien sein erster Gedichtband "Fugtive Pieces", der zwar schlechte Kritiken erntete, sich aber hervorragend verkaufte.

Ungefähr zur gleichen Zeit lernte Byron seine um vier Jahre ältere Halbschwester Augusta, die aus John Byrons erster Ehe stammte, kennen und lieben. Ob er ihr nur in schwärmerischer geschwisterlicher Liebe zugetan war und in ihr eine Seelengefährtin sah, oder ob er tatsächlich das skandalumwitterte, inzestuöse Verhältnis zu ihr hatte, das ihm seinerzeit in der Gesellschaft nachgesagt wurde (und noch heute oftmals wird), ist nie geklärt worden. Der lebenslange Briefwechsel jedenfalls, den die beiden fortan gepflegt haben - Teile dieser Korrespondenz sind bis heute erhalten - war eher geistreicher und amüsanter Natur denn voll glühenden Liebesgeplänkels, somit ist wohl eher von ersterem auszugehen.

1809 begab sich Lord Byron, wie es damals so Sitte war, auf ausgeprägte Europa Reise, die ihn an die Orte seiner Fernweh brachte, nach Portugal, Spanien, Italien, die Insel Malta, Griechenland, Albanien und die Küste Klein Asiens. Auf dieser Reise begann er auch mit den Arbeiten an seinem frühen Hauptwerk, "Des Ritter Harolds Pilgerfahrt", die er im Stil einer antiken Erzählung in verschiedene Heldengesänge aufteilte. Als er wieder in das Vereinte Königreich zurückkehrte, erwarteten ihn eine ganze Reihe schlechter Nachrichten: sein bester Freund ist bei einem Badeunfall ertrunken, seine Mutter, in letzter Zeit physisch wie psychisch instabil, ist gestorben, die Ehe seiner Schwester Augusta ist am Ende. Byron schrieb wie besessen am "Ritter Harold" weiter. 1812 veröffentlichte er die ersten beiden Kapitel (bzw. Gesänge), die zu einem grandiosen Erfolg gerieten. Nun lag ihm die Welt zu Füßen!

Byrons Affäre mit der jungen Caroline Lamb geriet zum Skandal der Saison und untermauerten seinen Ruf als jungen Wilden. Ein Genie, gutaussehend und männlich, ein forscher Verführer, fortschrittlich und von moderner wie humanistischer Weltanschauung, ein bisschen radikal vielleicht, aber auch eitel und einstweilen aristokratisch blasiert - kurz, ein Superstar seiner Epoche. Frauen wie Männer liebten und beneideten ihn, und auch die Lamb wollte nicht von ihm lassen. Doch er, der sich auf dem Zenit seiner Popularität sah, hatte kein dauerhaftes Interesse an ihr. Um sich an Byron zu rächen setzte Lamb die Kunde von dessen "seltsamer" Beziehung zu seiner Schwester in die Welt, und die machte die Runde wie ein Lauffeuer. Byron musste handeln um Augusta nicht zu diskreditieren und ehelichte Anabella Milbanke, eine tugendhafte Intellektuelle mit großer Vorliebe für Mathematik, die ihm im Dezember 1815 die Tochter Augusta Ada gebar.

Bereits wenige Monate später wandte sich Anabella von Byron ab, weil sie dessen Verhältnis zu Augusta nicht mehr tolerieren mochte. Byron verließ seine Familie und pfiff fortan auf gesellschaftliche Konventionen. Er wurde zu einer Art Geächtetem in England und beschloss, mal wieder auf ausgedehnte Reisen zu gehen. 1816 mietete er sich mit Polidori im bekannten Schweizer Anwesen Diodati ein und pflegte ein überaus freundschaftliches Verhältnis zu Shelley, der seinerseits ebenfalls ein "Popstar" im gesellschaftlichen Abseits war, schließlich lebte er mit Mary Wollstonecraft zusammen obschon er noch verheiratet war. Und auch mit dem deutschen Überdichter Johann Wolfgang von Goethe verband Byron eine respektvolle Freundschaft. Polidori, dessen Liebe er verschmähte, warf er nach unzähligen Streitereien hinaus. Aus seiner Verbindung mit Claire Clairmont ging erneut eine Tochter hervor, Allegra, die aber bereits in frühen Kindertagen starb.

Er vollendete seinen "Ritter Harold", schrieb inzwischen den "Manfred", den "Giaour" wie den "Korsaren" und begann 1819 sein spätes Meisterwerk, den "Don Juan", der eher zur Satire als zu einem weiteren Heldengesang auf den legendären Verführer geriet. Nachdem die Shelleys und Clairmont aus der Schweiz nach England zurückkehrten, zog Byron gen Italien. Hier pflegte er ein skandalöses Verhältnis zur verruchten Comtessa Guicioli und wohnte sogar in deren Residenz in Venedig - während -Schock! - ihr Ehemann ebenfalls dort residierte! In England konnte er sich nun wirklich gar nicht mehr sehen lassen, doch das scherte ihn inzwischen kaum noch.

Augusta
Claire
Shelley

Stattdessen schloss er sich unter dem Einfluss der Guicioli den "Carbonari" an, einer Geheimorganisation, die das Ziel hegte, die italienische Krone zugunsten einer Demokratie nach den Grundsätzen der französischen Revolution zu vertreiben. Byron war begeistert! Endlich ein Freiheitskämpfer! Doch Byron und Guicioli waren wohl zu prominent, sie flogen auf und vermutlich hatten sie es nur ihrem adeligen Stand zu verdanken, dass sie lediglich ins Exil nach Pisa verbannt wurden und dort ein freies Leben nach ihrem Gutdünken führen durften. 1823 zerbrach die Verbindung zu der wilden Comtessa, als Byron das Angebot ereilte, als General die griechischen Freiheitscorps, die sich ihre Unabhängigkeit von der türkischen Herrschaft zu erstreiten suchten, anzuführen. Begeistert sagte Byron, der gesundheitlich nicht mehr ganz auf der Höhe war, zu.

Am 20.Januar 1824, seinem 37. Geburtstag, dichtete er noch (auszugsweise) folgendes:

"Die Jugend schwand - wozu noch leben?
Hier winkt ein ehrenvoller Tod;
Drum säume nicht, dich hinzugeben
Für bess'rer Tage Morgenrot.

Such' dir ein Grab, das manche fanden,
Die 's nicht gesucht - ein Heldengrab!
Zerreiße freudig deine Banden

Und sink auf ewig dann hinab."


Am 19. April 1824, einem erstaunlich warmen Tag, dem eine lange, kühle Regenphase vorausging, starb Lord George Gordon Noel Byron in Griechenland an den Folgen einer Lungenentzündung und dem damaligen ärztlichen Allheilmittel, dem Aderlass, der seine Opfer beinahe auf vampirische Art schwächte, bis der Tod kam. Der Heldentod blieb ihm verwehrt, doch Goethe, der andere Meistergeist dieser Zeit, der einen zwar gänzlich anderen Lebenslauf einschlug als Byron und doch stets dessen Freund und Bruder im Geiste blieb, schrieb zu seinem Nachruf:

"Englands größter Dichter, der in seinem Vaterlande, wo er geboren war und das er so innig liebte, kein Glück und keine Ruhe gefunden hatte (...) starb!

(...) [Und starb] Byron auch nicht den Heldentod, wie er sich oft gewünscht hatte, so war sein Tod dennoch ein ehrenvoller, ein dem Schlachtentod gleicher. Die Strapazen und Aufregungen für [sein geliebtes und besungenes] Griechenland waren es, die ihn aufs Krankenlager warfen."

Der Schriftsteller Tom Holland hat Lord Byron ein literarisches Denkmal gesetzt, indem er ihn zum untoten Helden seiner Romantrilogie "Der Vampir", "Das Erbe des Vampirs" und "Die Botschaft des Vampirs" machte. Byron ist hier ein mächtiger Nosferat, der seit mehreren hundert Jahren über die Erde streift und sich gern am Blut seiner Verwandten labt, an sich aber, vergleichbar mit den Vampiren der Anne Rice, kein fieser Raffzahn a la Dracula oder Lord Ruthven ist.

Byron war zugleich brillanter freigeistiger Denker und Lebemann in einer Person, begnadeter Dichter und Rebell, Wegbereiter und Bürgerschreck, mit anderen Worten eine Kultfigur, die immer wieder neue Generationen für sich entdecken sollten. In England hat man ihm sein für damalige Verhältnisse ungeheures Betragen längst verziehen (zumindest größtenteils) und ist längst stolz auf ihn, das Genie der Romantik. In Griechenland wird er bis in unsere Tage als Volksheld gefeiert. Die Geister scheiden sich heute nicht mehr an ihm und er wurde längst zum Klassiker erklärt. Wie aber würde es wohl aussehen, wenn Lord Byron ein Kind unserer Tage wäre?


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